2002
Der erste Test
„In der Halle stehen ein paar Fahrräder“, sagt der Hafenmeister, „könn’se sich eins nehmen, zum Bäcker ist es sonst zu weit.“ So kommen frische Brötchen auf den Frühstückstisch und Kuchen für den Nachmittag. Danach geht es an die Bedienungsanleitung des neuen Außenborders und wenig später ist das Problem gelöst, der Schalthebel richtig eingerastet, der Evinrude springt wieder an. Der Viertakter schnurrt wie ein Uhrwerk.
Dann die erste Cockpitbesprechung: Wie kommen wir bloß aus dieser engen Box raus, denn von den Achterpfählen bis zur Pier sind es knapp 5 m, d.h., wir müssen fast schon in der Box die „Kurve“ kriegen? Noch wichtiger ist die Frage, ob wir überhaupt segeln wollen – immerhin bläst es draußen mit fünf Beaufort? Und ob wir wollen, dann wird eben gerefft oder nur mit dem Groß gesegelt, aber bevor wir ablegen ein intensiver Blick auf die Seekarte. Die ist echt und keine Übungskarte aus dem Unterricht. Jetzt beginnt wohl der Ernst des Seglerlebens.
„Klar bei Vorleine!“ „Vorleine ist klar“. „Steuerbordvorleine los!“ „Steuerbordvorleine ist los“. „Backbordvorleine fieren ...“ und dabei zieht uns der Außenborder langsam raus. Die Achterleinen sind ebenfalls los und dann auch die Vorleine. Wir rutschen aus der Box. Das Ruder hart backbord schrammen wir knapp an der Pier vorbei und haben jetzt genügend Platz. Beim Umschalten in den Vorwärtsgang geht der Motor aus, ausgerechnet jetzt, wo der Wind auf das Boot drückt. Mit Bootshaken und Fendern bringen wir uns in Sicherheit, dann gibt der Evinrude seine Arbeitsverweigerung auf, es geht wieder voran!
Als wir die Hafenausfahrt passieren erwischt uns sofort der Wind. Die Wellen bringen „flexibel“ in Bewegung, ab und zu kommt Wasser über und der Wind nimmt Einfluss auf den Kurs. Was ist denn hier los? Andere Boote kommen von vorn oder fahren von der Seite ins Fahrwasser, „... bleib ganz rechts, immer an den Tonnen lang, dann kann uns nichts passieren“, spreche ich mir Mut zu. Die soeben ins Gedächtnis fotografierte Seekarte ist weg, gelöscht, zu aufregend ist alles um uns herum, nur rechts bleiben, das ist wichtig.
Wir passieren die erste Tonne. „Steht H 6 in der Seekarte?“ „Na klar, jetzt kommt H 4 an Steuerbord und an Backbord der Möwenberg.“ Tatsächlich stimmen Karte und Realität überein und so langsam legt sich auch die Aufregung. Alle Fahrzeuge halten sich an die Regeln und niemandem scheint aufzufallen, dass wir die erste Meile unseres Lebens allein auf einer Seeschifffahrtsstraße unterwegs sind. Nach der ersten Meile frischt der Wind noch mehr auf, kommt immer wieder Spritzwasser über. Wir fahren ins „Kleine Gehege“. Bei Gegenkommern muss ich die Wellen aussteuern, damit wir nicht so stampfen und es weniger spritzt. Sabine kontrolliert in der Seekarte jeden Meter. Von der Umgebung nehmen wir kaum etwas wahr, nur das Fahrwasser und die Seezeichen sind wichtig. An Steuerbord der Abzweig in den Yachthafen von Haddeby und an Backbord die Kulisse von Schleswig mit Dom und Stadthafen, dann Tonne 138, wir haben endgültig das Schleifahrwasser erreicht.
Im schmalen Fahrwasser können wir keine Segel setzen, um das Boot zu stabilisieren. Immer noch klettert und stolpert „flexibel“ über die Wellen und immer wieder werden wir nass. Erst bei Tonne 131 können wir das schmale Fahrwasser verlassen. Hier in der „Kleinen Breite“ ist es tief genug. Wir setzen nur das Groß und sofort legt sich „flexibel“ auf die Seite, aber damit kommt das Boot endlich in eine stabile Lage. Sofort hört das Spritzen auf und die Besatzung kann langsam wieder trocknen. Die hässliche Zuckerfabrik, die die „Kleine Breite“ optisch so dominiert, lassen wir an Backbord, erreichen schon bald die kleine Ostseewerft und im Nordostwinkel der „Kleinen Breite“ Winningmay. Von der Seeseite erinnert mich nichts mehr an eine Übernachtung im Campingbully vor etwa 13 Jahren.
Wir wenden. Mit Kurs auf die Stexwiger Enge passieren wir einige Ankerlieger, die sich im Schutz der Landabdeckung der Halbinsel Reesholm ducken. Im Cockpit wird Kaffee getrunken und einige Seeleute erfrischen sich im Wasser. Nach Süden wird die Landabdeckung immer flacher. Um die Stexwiger Enge passieren zu können, beginnen wir zu kreuzen. An diesem Sonntag sind natürlich viele Boote unterwegs und die meisten segeln mit dem kräftigen Ostwind die Schlei aufwärts; den letzten Stunden des Wochenendes buchstäblich entgegen. Morgen wird wieder gearbeitet, aber wir haben Urlaub, freuen wir uns auf die bevorstehenden Wochen.
Auf der nördlichen Uferseite der Stexwiger Enge erfrischen sich die Kühe im Wasser und vor Stexwig haben die Kinder ihren Spaß in der Schlei. Vom Ufer bis zur Fahrwassermarkierung ist es demnach nur knietief und das ist selbst für „flexibel“ zu wenig. Die Untiefentonne und die Dalben weisen uns den Weg. Mit sportlichem Elan gehen wir die Stexwiger Enge unter Segel an, den Wind mit fünf Beaufort genau von vorn. Kommen wir da durch? Egal, kreuzen wir eben! Dabei erwischt uns immer wieder eine Böe und legt „flexibel“ manchmal mit 350 auf die Seite.
Hinter uns kommt eine Yacht auf, die unter Segel motort und stabil in der Spur bleibt; Motorkegel? Keine Spur. Schnell sind die an uns vorbei und zeigen damit auch unsere Grenze auf. Hier durchzusegeln ist wirklich falscher Ehrgeiz und gefährlich obendrein. Also geben wir auf, lassen den Evinrude zu Wasser und dann unterstützen 5 PS unser Segel –auch ohne Motorkegel! Damit können wir rechts im Fahrwasser bleiben, wir haben instinktiv die richtige Maßnahme ergriffen. Jetzt passieren uns laufend Yachten und dann, an der mit ca. 50 m schmalsten Stelle im Fahrwasser, kommt eine Riesenyacht von vorn und zeitgleich von achtern eine „dreistöckige Motoryacht“ auf. Wir unter Segel und Motor. Eine einzige Böe könnte uns aus der Spur werfen, der Segelyacht vor den Bug und der Motoryacht vor die Füße. Konzentration pur, dann ist die Segelyacht durch und das Motorboot hat überholt. Das war knapp. Aufatmen, wir sind in der „Großen Breite“.
Immer wieder der Blick auf die Seekarte. Wie tief ist es, können wir aus dem Fahrwasser raus? „Erst nach Tonne 119 kannste rüber“ und dann ist endlich der Motor wieder aus und Ruhe im Schiff. Nimmt der Wind noch zu? Reffen? Noch nicht. Erst wollen wir wenden, doch
nur mit dem Groß ist das bei diesem Wind ein schwieriges Unterfangen. Wir kommen nicht durch den Wind, obwohl wir schulmäßig anluven. Der zweite Versuch gelingt auch nicht, erst beim dritten Versuch sind wir endlich auf dem anderen Bug. Es gibt so viel zu tun, auf unseren 6,50 m, man glaubt es kaum. Zurück nach Schleswig? Langsam wird es Zeit. Die meisten Yachten segeln vor dem Wind unter Fock oder Spinnaker Richtung Schleswig. So machen wir das auch, aber bei der Welle das Groß bergen? Wir gehen in den Wind und alles gelingt.
Die vielen Yachten, die mit uns auf gleichem Kurs unterwegs sind, reichen uns nach hinten durch. Da überholende Segler besonders gern grüßen, fühlen wir uns auf der Varianta eher als „Traditionssegler“ in den Kreis der Segler aufgenommen, denn oft schwingt die Botschaft mit, „...guck mal, eine Varianta, so haben wir auch mal angefangen.“ Auf gleicher Augenhöhe geschieht das jedenfalls nicht.
Vorbei an Stexwig, Fahrdorf, Haddeby, zurück in den Yachthafen am Wikingturm, der aus der Nähe ein wenig an die Bronx erinnert. Noch immer bläst es kräftig mit fünf Beaufort. Auf den alten Liegeplatz wollen wir nicht zurück, dann lieber an den Steg, wo schon eine andere Varianta liegt. Das ist zwar direkt unter dem Wikingturm, hässlich und 25 Stockwerke hoch, aber da gibt es einfach mehr Platz als heute Vormittag. Wir hätten es nicht tun sollen, denn am Turm geht die Düse noch stärker vorbei, aber hinterher ist man eben schlauer. In der langsamen Fahrt zwischen den Stegen kann ich unser Boot kaum auf Kurs halten und am Steg der Varianta ist keine Box mehr frei. Nur gegenüber gibt es einige freie Plätze, also hart steuerbord, doch da hat uns der Wind schon erwischt und drückt uns nach Lee.
Wir „retten“ uns gerade noch in die Box, aber da ich steuern und den Motor bedienen muss, vergesse ich in der Aufregung die griffbereiten Heckleinen über den Pfahl zu legen. Zum Glück übernimmt ein hilfsbereiter Segler die Vorleine von Sabine, während das Heck seitlich und sachte auf die kleine Nachbaryacht weht. Der Blick des beim Essen gestörten jungen Seglers spricht Bände: „Kannste nicht mal festmachen“ und der hilfsbereite Segler auf dem Steg, „gebt mir eine lange Leine, dann halte ich euch so, dass du die Achterleine auf den Pfahl setzen kannst“. Gute Idee. Dann sind wir endlich fest, auch wenn die zweite Achterleine immer noch fehlt, aber die schaffen wir allein. Sabine gibt vorn lose während ich die zweite Leine mit dem Bootshaken über den Pfahl bugsiere. Bei dem böigen Wind mache ich auch dabei keine glückliche Figur. Der junge Skipper neben uns lächelt „erfahren“. Was für eine Aufregung.
Endlich der verdiente Einlaufschluck! Noch einmal gehen wir unseren ersten Törn durch, segeln und motoren durch die Stexwiger Enge, machen noch einmal am Wikingturm fest, analysieren unsere Fehler – ohne daraus schon Konsequenzen zu ziehen. Leider ist es im Cockpit „unter“ dem Wikingturm nicht besonders gemütlich. Einige Bewohner entsorgen mit zunehmender Dunkelheit ihren Müll durch das Fenster ins Wasser. Manchmal schlägt sogar ’ne Bierdose auf ’ner Jolle ein. Bronx eben, also bitte nicht unter’m Turm in die Box!
Am Abend entdecken wir mit den Fahrrädern aus dem Yachthafen die Stadt Schleswig. Vorbei an Schloss Gottorf, am Yachthafen und am Luisenbad radeln wir zum Stadthafen und in das alte Fischerviertel Holm. Holm ist das dänische Wort für Insel, doch 1933 wurde die Fischerinsel mit dem Festland verbunden. Längst ist es dunkel. Wir fahren an Dom, Rathaus und Graukloster vorbei, entdecken malerische Straßen, Gassen, kleine Kneipen und eine wunderschöne Stadt. So schön ist Schleswig? Jau!
Zufrieden und voller Eindrücke fallen wir in die schmale Koje.
Hafentag in Schleswig
Wieder kündigt sich ein wunderschöner Sommertag an und da zufällig ein Schiffsmechaniker im Hafen ist, bitte ich ihn um Überprüfung unserer angeschlagenen Gelbatterie. Und da ich mit der Bordelektrik auf Kriegsfuß stehe, ist die Ladespule des neuen Motors leider noch nicht angeschlossen. Da traue ich mich noch nicht ran und so eine Chance kommt so schnell nicht wieder.
Dann hängt die Batterie am Ladegerät und der Motorexperte überprüft den Anschluss der Ladespule. Doch beide Anschlusskabel helfen nicht weiter, im Gegenteil, jetzt springt der Motor nicht mehr an. Ich ziehe und reiße an der Leine doch nichts regt sich. Irgendwann habe ich eine Blase am Finger und bin stinksauer über unseren Motorfehlkauf. „Das darf nicht wahr sein“, fluche ich, „ich will endlich auslaufen, segeln, deshalb sind wir hier“. Des Rätsels Lösung scheint die im Motor falsch installierte Ladespule, aber das soll die Werkstatt später regeln. Als die Kabel abgeklemmt werden ist der Motor sofort wieder da. Wir bedanken uns mit einem „Trinkgeld“ bei unserem Helfer, der meint, dass die Batterie mindestens vier Stunden aufgeladen werden sollte, „... gehen sie mal schön ein paar Stunden einkaufen.“
Also wird im Handyladen der Akku aufgeladen, finden wir ein handliches Bilderbuch über die Schlei, ein idyllisches Café am Mühlgraben und ein erstes Urlaubssouvenir für die hei-mische Terrasse. Eine Tischdecke für den Cockpittisch wird angeschafft, Obst und Gemüse vervollständigen unseren Reiseproviant, aber als wir um 17.00 Uhr zurück an Bord sind, entscheiden wir, nicht mehr auszulaufen, zumal in der Ferne Gewitterwolken aufziehen.
Als die Dämmerung einsetzt wird das Wetterleuchten immer stärker. Es ist drückend schwül, doch das erlösende Gewitter hat wohl doch keine Lust und bleibt irgendwo tief im Westen hängen. Nach dem Essen flanieren wir über die Stege, „Schiffe gucken“. Vielleicht entdecken wir ja ein paar hübsche Ideen für unser Boot oder finden sogar ein neues „Traumschiff“. Auf dem „Heimweg“ kommen wir mit einem älteren Skipper und seiner Frau ins Gespräch, der uns in drei Minuten die technische Entwicklung der letzten 30 Jahre runter betet, „...vor 30 Jahren wurdest de mit ’ner Rollfock noch ausgelacht. Jetzt haben wir „das Alter“, ein Rollgroß angeschafft und damit biste bei den segelnden Fundamentalisten schon wieder unten durch. So ein Quatsch, über ’ne Rollfock regt sich heute keiner mehr auf.“ Ein paar Minuten später verschwinden sie in ihre Ferienwohnung im Wikingturm. „Da oben, von unserem Balkon kann ich sehen, ob ich die Leinen dichter holen muss“, hören wir noch und stehen staunend vor der 13 m Yacht, die mit dem Heck bestimmt zwei Meter aus der letzten Box heraus ragt. Dabei liegt die Backbordseite an der Pier. Wie kommt der hier bloß rein und raus?
Am nächsten Morgen sitzen wir vor dem Auslaufen im Cockpit, besprechen unseren Tagestörn und das Ablegemanöver, als die 13m-Yacht mit einem Höllentempo auf die letzte Box zurast, einen „Außschiesser“ wie eine kleine Jolle hinlegt, in die Box schießt und zentimetergenau zum Stillstand kommt. „Ich fass’ es nicht“, staune ich. „Das muss so“, sagt der Skipper wenig später, „wir haben eine linksdrehende Schraube und viel zu wenig Platz zum Drehen. Nur durch die hohe Geschwindigkeit haben wir den notwendigen Ruderdruck, sonst käme ich nicht rum. Und dann hilft auch noch der Radeffekt“.
Als wir um 12.00 Uhr ablegen geschieht das ohne viel Palaver. Gleich vor der Hafenausfahrt setzen wir die Segel, denn das Wetter ist wie für Einsteiger gemacht. Außerdem sind an diesem Dienstag nicht so viele Segler wie am Sonntag unterwegs. Wir haben viel Platz zum Kreuzen und Zeit für einige Fotos. Immer wieder überprüfen wir die Wassertiefe auf der Karte, bis wir die „Kleine Breite“ erreichen. Hier fieren wir das Schwert, damit wir keine Höhe verlieren und zügig vorankommen. Jetzt sind wir wirklich unterwegs, genießen das herrliche Sommerwetter und segeln einem unbekannten Ziel entgegen.
„In der Halle stehen ein paar Fahrräder“, sagt der Hafenmeister, „könn’se sich eins nehmen, zum Bäcker ist es sonst zu weit.“ So kommen frische Brötchen auf den Frühstückstisch und Kuchen für den Nachmittag. Danach geht es an die Bedienungsanleitung des neuen Außenborders und wenig später ist das Problem gelöst, der Schalthebel richtig eingerastet, der Evinrude springt wieder an. Der Viertakter schnurrt wie ein Uhrwerk.
Dann die erste Cockpitbesprechung: Wie kommen wir bloß aus dieser engen Box raus, denn von den Achterpfählen bis zur Pier sind es knapp 5 m, d.h., wir müssen fast schon in der Box die „Kurve“ kriegen? Noch wichtiger ist die Frage, ob wir überhaupt segeln wollen – immerhin bläst es draußen mit fünf Beaufort? Und ob wir wollen, dann wird eben gerefft oder nur mit dem Groß gesegelt, aber bevor wir ablegen ein intensiver Blick auf die Seekarte. Die ist echt und keine Übungskarte aus dem Unterricht. Jetzt beginnt wohl der Ernst des Seglerlebens.
„Klar bei Vorleine!“ „Vorleine ist klar“. „Steuerbordvorleine los!“ „Steuerbordvorleine ist los“. „Backbordvorleine fieren ...“ und dabei zieht uns der Außenborder langsam raus. Die Achterleinen sind ebenfalls los und dann auch die Vorleine. Wir rutschen aus der Box. Das Ruder hart backbord schrammen wir knapp an der Pier vorbei und haben jetzt genügend Platz. Beim Umschalten in den Vorwärtsgang geht der Motor aus, ausgerechnet jetzt, wo der Wind auf das Boot drückt. Mit Bootshaken und Fendern bringen wir uns in Sicherheit, dann gibt der Evinrude seine Arbeitsverweigerung auf, es geht wieder voran!
Als wir die Hafenausfahrt passieren erwischt uns sofort der Wind. Die Wellen bringen „flexibel“ in Bewegung, ab und zu kommt Wasser über und der Wind nimmt Einfluss auf den Kurs. Was ist denn hier los? Andere Boote kommen von vorn oder fahren von der Seite ins Fahrwasser, „... bleib ganz rechts, immer an den Tonnen lang, dann kann uns nichts passieren“, spreche ich mir Mut zu. Die soeben ins Gedächtnis fotografierte Seekarte ist weg, gelöscht, zu aufregend ist alles um uns herum, nur rechts bleiben, das ist wichtig.
Wir passieren die erste Tonne. „Steht H 6 in der Seekarte?“ „Na klar, jetzt kommt H 4 an Steuerbord und an Backbord der Möwenberg.“ Tatsächlich stimmen Karte und Realität überein und so langsam legt sich auch die Aufregung. Alle Fahrzeuge halten sich an die Regeln und niemandem scheint aufzufallen, dass wir die erste Meile unseres Lebens allein auf einer Seeschifffahrtsstraße unterwegs sind. Nach der ersten Meile frischt der Wind noch mehr auf, kommt immer wieder Spritzwasser über. Wir fahren ins „Kleine Gehege“. Bei Gegenkommern muss ich die Wellen aussteuern, damit wir nicht so stampfen und es weniger spritzt. Sabine kontrolliert in der Seekarte jeden Meter. Von der Umgebung nehmen wir kaum etwas wahr, nur das Fahrwasser und die Seezeichen sind wichtig. An Steuerbord der Abzweig in den Yachthafen von Haddeby und an Backbord die Kulisse von Schleswig mit Dom und Stadthafen, dann Tonne 138, wir haben endgültig das Schleifahrwasser erreicht.
Im schmalen Fahrwasser können wir keine Segel setzen, um das Boot zu stabilisieren. Immer noch klettert und stolpert „flexibel“ über die Wellen und immer wieder werden wir nass. Erst bei Tonne 131 können wir das schmale Fahrwasser verlassen. Hier in der „Kleinen Breite“ ist es tief genug. Wir setzen nur das Groß und sofort legt sich „flexibel“ auf die Seite, aber damit kommt das Boot endlich in eine stabile Lage. Sofort hört das Spritzen auf und die Besatzung kann langsam wieder trocknen. Die hässliche Zuckerfabrik, die die „Kleine Breite“ optisch so dominiert, lassen wir an Backbord, erreichen schon bald die kleine Ostseewerft und im Nordostwinkel der „Kleinen Breite“ Winningmay. Von der Seeseite erinnert mich nichts mehr an eine Übernachtung im Campingbully vor etwa 13 Jahren.
Wir wenden. Mit Kurs auf die Stexwiger Enge passieren wir einige Ankerlieger, die sich im Schutz der Landabdeckung der Halbinsel Reesholm ducken. Im Cockpit wird Kaffee getrunken und einige Seeleute erfrischen sich im Wasser. Nach Süden wird die Landabdeckung immer flacher. Um die Stexwiger Enge passieren zu können, beginnen wir zu kreuzen. An diesem Sonntag sind natürlich viele Boote unterwegs und die meisten segeln mit dem kräftigen Ostwind die Schlei aufwärts; den letzten Stunden des Wochenendes buchstäblich entgegen. Morgen wird wieder gearbeitet, aber wir haben Urlaub, freuen wir uns auf die bevorstehenden Wochen.
Auf der nördlichen Uferseite der Stexwiger Enge erfrischen sich die Kühe im Wasser und vor Stexwig haben die Kinder ihren Spaß in der Schlei. Vom Ufer bis zur Fahrwassermarkierung ist es demnach nur knietief und das ist selbst für „flexibel“ zu wenig. Die Untiefentonne und die Dalben weisen uns den Weg. Mit sportlichem Elan gehen wir die Stexwiger Enge unter Segel an, den Wind mit fünf Beaufort genau von vorn. Kommen wir da durch? Egal, kreuzen wir eben! Dabei erwischt uns immer wieder eine Böe und legt „flexibel“ manchmal mit 350 auf die Seite.
Hinter uns kommt eine Yacht auf, die unter Segel motort und stabil in der Spur bleibt; Motorkegel? Keine Spur. Schnell sind die an uns vorbei und zeigen damit auch unsere Grenze auf. Hier durchzusegeln ist wirklich falscher Ehrgeiz und gefährlich obendrein. Also geben wir auf, lassen den Evinrude zu Wasser und dann unterstützen 5 PS unser Segel –auch ohne Motorkegel! Damit können wir rechts im Fahrwasser bleiben, wir haben instinktiv die richtige Maßnahme ergriffen. Jetzt passieren uns laufend Yachten und dann, an der mit ca. 50 m schmalsten Stelle im Fahrwasser, kommt eine Riesenyacht von vorn und zeitgleich von achtern eine „dreistöckige Motoryacht“ auf. Wir unter Segel und Motor. Eine einzige Böe könnte uns aus der Spur werfen, der Segelyacht vor den Bug und der Motoryacht vor die Füße. Konzentration pur, dann ist die Segelyacht durch und das Motorboot hat überholt. Das war knapp. Aufatmen, wir sind in der „Großen Breite“.
Immer wieder der Blick auf die Seekarte. Wie tief ist es, können wir aus dem Fahrwasser raus? „Erst nach Tonne 119 kannste rüber“ und dann ist endlich der Motor wieder aus und Ruhe im Schiff. Nimmt der Wind noch zu? Reffen? Noch nicht. Erst wollen wir wenden, doch
nur mit dem Groß ist das bei diesem Wind ein schwieriges Unterfangen. Wir kommen nicht durch den Wind, obwohl wir schulmäßig anluven. Der zweite Versuch gelingt auch nicht, erst beim dritten Versuch sind wir endlich auf dem anderen Bug. Es gibt so viel zu tun, auf unseren 6,50 m, man glaubt es kaum. Zurück nach Schleswig? Langsam wird es Zeit. Die meisten Yachten segeln vor dem Wind unter Fock oder Spinnaker Richtung Schleswig. So machen wir das auch, aber bei der Welle das Groß bergen? Wir gehen in den Wind und alles gelingt.
Die vielen Yachten, die mit uns auf gleichem Kurs unterwegs sind, reichen uns nach hinten durch. Da überholende Segler besonders gern grüßen, fühlen wir uns auf der Varianta eher als „Traditionssegler“ in den Kreis der Segler aufgenommen, denn oft schwingt die Botschaft mit, „...guck mal, eine Varianta, so haben wir auch mal angefangen.“ Auf gleicher Augenhöhe geschieht das jedenfalls nicht.
Vorbei an Stexwig, Fahrdorf, Haddeby, zurück in den Yachthafen am Wikingturm, der aus der Nähe ein wenig an die Bronx erinnert. Noch immer bläst es kräftig mit fünf Beaufort. Auf den alten Liegeplatz wollen wir nicht zurück, dann lieber an den Steg, wo schon eine andere Varianta liegt. Das ist zwar direkt unter dem Wikingturm, hässlich und 25 Stockwerke hoch, aber da gibt es einfach mehr Platz als heute Vormittag. Wir hätten es nicht tun sollen, denn am Turm geht die Düse noch stärker vorbei, aber hinterher ist man eben schlauer. In der langsamen Fahrt zwischen den Stegen kann ich unser Boot kaum auf Kurs halten und am Steg der Varianta ist keine Box mehr frei. Nur gegenüber gibt es einige freie Plätze, also hart steuerbord, doch da hat uns der Wind schon erwischt und drückt uns nach Lee.
Wir „retten“ uns gerade noch in die Box, aber da ich steuern und den Motor bedienen muss, vergesse ich in der Aufregung die griffbereiten Heckleinen über den Pfahl zu legen. Zum Glück übernimmt ein hilfsbereiter Segler die Vorleine von Sabine, während das Heck seitlich und sachte auf die kleine Nachbaryacht weht. Der Blick des beim Essen gestörten jungen Seglers spricht Bände: „Kannste nicht mal festmachen“ und der hilfsbereite Segler auf dem Steg, „gebt mir eine lange Leine, dann halte ich euch so, dass du die Achterleine auf den Pfahl setzen kannst“. Gute Idee. Dann sind wir endlich fest, auch wenn die zweite Achterleine immer noch fehlt, aber die schaffen wir allein. Sabine gibt vorn lose während ich die zweite Leine mit dem Bootshaken über den Pfahl bugsiere. Bei dem böigen Wind mache ich auch dabei keine glückliche Figur. Der junge Skipper neben uns lächelt „erfahren“. Was für eine Aufregung.
Endlich der verdiente Einlaufschluck! Noch einmal gehen wir unseren ersten Törn durch, segeln und motoren durch die Stexwiger Enge, machen noch einmal am Wikingturm fest, analysieren unsere Fehler – ohne daraus schon Konsequenzen zu ziehen. Leider ist es im Cockpit „unter“ dem Wikingturm nicht besonders gemütlich. Einige Bewohner entsorgen mit zunehmender Dunkelheit ihren Müll durch das Fenster ins Wasser. Manchmal schlägt sogar ’ne Bierdose auf ’ner Jolle ein. Bronx eben, also bitte nicht unter’m Turm in die Box!
Am Abend entdecken wir mit den Fahrrädern aus dem Yachthafen die Stadt Schleswig. Vorbei an Schloss Gottorf, am Yachthafen und am Luisenbad radeln wir zum Stadthafen und in das alte Fischerviertel Holm. Holm ist das dänische Wort für Insel, doch 1933 wurde die Fischerinsel mit dem Festland verbunden. Längst ist es dunkel. Wir fahren an Dom, Rathaus und Graukloster vorbei, entdecken malerische Straßen, Gassen, kleine Kneipen und eine wunderschöne Stadt. So schön ist Schleswig? Jau!
Zufrieden und voller Eindrücke fallen wir in die schmale Koje.
Hafentag in Schleswig
Wieder kündigt sich ein wunderschöner Sommertag an und da zufällig ein Schiffsmechaniker im Hafen ist, bitte ich ihn um Überprüfung unserer angeschlagenen Gelbatterie. Und da ich mit der Bordelektrik auf Kriegsfuß stehe, ist die Ladespule des neuen Motors leider noch nicht angeschlossen. Da traue ich mich noch nicht ran und so eine Chance kommt so schnell nicht wieder.
Dann hängt die Batterie am Ladegerät und der Motorexperte überprüft den Anschluss der Ladespule. Doch beide Anschlusskabel helfen nicht weiter, im Gegenteil, jetzt springt der Motor nicht mehr an. Ich ziehe und reiße an der Leine doch nichts regt sich. Irgendwann habe ich eine Blase am Finger und bin stinksauer über unseren Motorfehlkauf. „Das darf nicht wahr sein“, fluche ich, „ich will endlich auslaufen, segeln, deshalb sind wir hier“. Des Rätsels Lösung scheint die im Motor falsch installierte Ladespule, aber das soll die Werkstatt später regeln. Als die Kabel abgeklemmt werden ist der Motor sofort wieder da. Wir bedanken uns mit einem „Trinkgeld“ bei unserem Helfer, der meint, dass die Batterie mindestens vier Stunden aufgeladen werden sollte, „... gehen sie mal schön ein paar Stunden einkaufen.“
Also wird im Handyladen der Akku aufgeladen, finden wir ein handliches Bilderbuch über die Schlei, ein idyllisches Café am Mühlgraben und ein erstes Urlaubssouvenir für die hei-mische Terrasse. Eine Tischdecke für den Cockpittisch wird angeschafft, Obst und Gemüse vervollständigen unseren Reiseproviant, aber als wir um 17.00 Uhr zurück an Bord sind, entscheiden wir, nicht mehr auszulaufen, zumal in der Ferne Gewitterwolken aufziehen.
Als die Dämmerung einsetzt wird das Wetterleuchten immer stärker. Es ist drückend schwül, doch das erlösende Gewitter hat wohl doch keine Lust und bleibt irgendwo tief im Westen hängen. Nach dem Essen flanieren wir über die Stege, „Schiffe gucken“. Vielleicht entdecken wir ja ein paar hübsche Ideen für unser Boot oder finden sogar ein neues „Traumschiff“. Auf dem „Heimweg“ kommen wir mit einem älteren Skipper und seiner Frau ins Gespräch, der uns in drei Minuten die technische Entwicklung der letzten 30 Jahre runter betet, „...vor 30 Jahren wurdest de mit ’ner Rollfock noch ausgelacht. Jetzt haben wir „das Alter“, ein Rollgroß angeschafft und damit biste bei den segelnden Fundamentalisten schon wieder unten durch. So ein Quatsch, über ’ne Rollfock regt sich heute keiner mehr auf.“ Ein paar Minuten später verschwinden sie in ihre Ferienwohnung im Wikingturm. „Da oben, von unserem Balkon kann ich sehen, ob ich die Leinen dichter holen muss“, hören wir noch und stehen staunend vor der 13 m Yacht, die mit dem Heck bestimmt zwei Meter aus der letzten Box heraus ragt. Dabei liegt die Backbordseite an der Pier. Wie kommt der hier bloß rein und raus?
Am nächsten Morgen sitzen wir vor dem Auslaufen im Cockpit, besprechen unseren Tagestörn und das Ablegemanöver, als die 13m-Yacht mit einem Höllentempo auf die letzte Box zurast, einen „Außschiesser“ wie eine kleine Jolle hinlegt, in die Box schießt und zentimetergenau zum Stillstand kommt. „Ich fass’ es nicht“, staune ich. „Das muss so“, sagt der Skipper wenig später, „wir haben eine linksdrehende Schraube und viel zu wenig Platz zum Drehen. Nur durch die hohe Geschwindigkeit haben wir den notwendigen Ruderdruck, sonst käme ich nicht rum. Und dann hilft auch noch der Radeffekt“.
Als wir um 12.00 Uhr ablegen geschieht das ohne viel Palaver. Gleich vor der Hafenausfahrt setzen wir die Segel, denn das Wetter ist wie für Einsteiger gemacht. Außerdem sind an diesem Dienstag nicht so viele Segler wie am Sonntag unterwegs. Wir haben viel Platz zum Kreuzen und Zeit für einige Fotos. Immer wieder überprüfen wir die Wassertiefe auf der Karte, bis wir die „Kleine Breite“ erreichen. Hier fieren wir das Schwert, damit wir keine Höhe verlieren und zügig vorankommen. Jetzt sind wir wirklich unterwegs, genießen das herrliche Sommerwetter und segeln einem unbekannten Ziel entgegen.
Die Schlei ist ein uralter Wasserweg. Schon die Wikinger transportierten mit ihren Schiffen vor mehr als 1.000 Jahren Waren vom Schwarzen Meer über Flüsse, die Ostsee und die Schlei hinauf bis Haithabu (Schleswig). Mit hochseetauglichen Schiffen segelten sie ohne Kompass von Norwegen über den Nordatlantik nach Island, Grönland und sogar bis Nordamerika. Nur die Schattenlänge eines besonderen Steines zeigte den Sonnenstand und damit den Kurs an.
Und da drüben in Haithabu kreuzten sich wichtige Handelswege, begegneten sich Friesen, Dänen, Franken, Slawen, Schweden und aus dem Warenumschlagplatz am Haddebyer Noor enwickelte sich rasch eine quirlige Handelsmetropole. Vom 9. bis ins 12. Jahrhundert boomten die Geschäfte. Von Haithabu, war der Landweg bis zum heutigen Hollingstedt, mit dem zur Nordsee führenden Flusssystem Treene und Eider, nur 14 km lang. Die Wikinger transportierten von Haithabu ihre Waren, manchmal sogar die Schiffe über Land, um den drei Wochen dauernden und oft stürmischen Weg durch Kattegat und Skagerrak zu vermeiden.
Damals war der Wasserstand auf der Schlei ein Meter niedriger als heute und plötzlich knirscht und rumpelt es direkt vor dem Schleswiger Marinehafen unter unserem Kiel. Wir setzen leicht mit dem Schwert auf. „Nicht aufgepasst Ralf, ab Tonne 133 ist es tief genug und erst dort hätten wir die Fahrrinne verlassen dürfen“, brummelt die Co-Skipperin, nicht ahnend, dass ich mit den Wikingern auf der Schlei unterwegs war. Sofort ist das Schwert oben und von Untiefen und Wikingern unbeeindruckt setzen wir unsere Reise fort.
Bei dem leichten Wind nehmen wir die Umgebung viel intensiver als gestern wahr. Ein traumhafter Tag in einer traumhaften Landschaft und der Groll über den verpassten Segeltag hat sich verzogen; das schafft die Schlei mit links. Mal seh’n, ob wir das „Boje über Bord-Manöver“ auch mit links hinkriegen und bevor Sabine protestieren kann ist die Boje über Bord. Dann fliegen die Kommandos „Boje über Bord an Backbord, Boje im Blick behalten“ und sofort darauf, „Fier auf die Schoten, raumer Wind, ...klar zur Q-Wende, ...Re.“ Das Boot geht durch den Wind und wir nähern uns auf Halbwindkurs, mit zwei Bootslängen Abstand, der Boje. „Klar zum Aufschießer“. „Ist klar“, bestätigt die Vorschoterin, dann folgt „Re“, doch viel zu früh löst Sabine die Fock, sodass wir sofort an Geschwindigkeit verlieren, nicht mehr in den Wind kommen, aber wir die Boje gerade noch an Backbord erwischen. Als wir das Manöver anschließend mit der Halse genau nach „Bedienungsanleitung“ fahren kommen wir genau neben der Boje zum Stillstand. So soll das sein, wir perfektionieren unser Zusammenspiel.
Der Stexwiger Enge nähern wir uns unter Segel, den Motor brauchen wir nicht. Es ist wenig Verkehr und eine so friedliche Stimmung auf dem Wasser. Heute deutet nichts mehr darauf hin, dass im 8. Jahrhundert zwischen Reesholm und Stexwig ein Sperrwerk das Fahrwasser von der Ostsee nach Haithabu unterbrochen haben soll. In den vergangenen Jahren haben archäologische Taucher Reste eines hölzernen Sperrwerks entdeckt, über das wir gerade jetzt hinweg segeln. Darüber erreichen wir die „Große Breite“ und die kosten wir voll und ganz aus. Wir haben alle Zeit der Welt, kreuzen hin und wieder den Tonnenstrich, haben den Strand von Brodersby voraus, wechseln auf die Südseite nach Borgwedel, lauschen vor Louisenlund badenden Kindern und bekommen richtig Lust, selbst zu schwimmen.
Am Ostufer gräbt sich der Anker vor dem Kliff in den Grund. Bevor wir an Land schwimmen lese ich bei Andreas Jahnke nach, der hier vor Wasserskiläufern warnt: „Je nach Wind-richtung liegt man sehr schön an der Ostküste der Großen Breite - hohe Steilküste mit ausreichend Wasser bis ziemlich dicht unter Land, aber aus unbekanntem Grund manchmal von Wasserskiläufern heimgesucht - weitab von den gestrengen Blicken der Obrigkeit?“ Und tatsächlich taucht das Wasserskiboot wie angekündigt auf, nervt, verschwindet, nervt und kommt wieder. Danach ist vor dieser reizvollen Kulisse endlich Ruhe. Halb schwimmend oder gehend bewegen wir uns durch die dichter werdenden Wasserpflanzen auf das Ufer zu. Das „Kraut“ kommt uns ziemlich bekannt vor, Wasserpest gibt’s hier scheinbar auch und die Pflanzen werden immer undurchdringlicher, sodass wir unsere „Expedition“ abbrechen und an Bord zurückkehren. Aber wo ist mein großes Badehandtuch? Mist, das habe ich in der Marina am Wikingturm vergessen! Auf Wiedersehen in ein paar Tagen? Leider nein, manche Segler sind eben Besitz ergreifend.
17.15 Uhr Anker auf. Wir setzen für die paar Meter bis zur Marina Brodersby nur das Groß. Sabine steuert zunächst den verabredeten Kurs, will aber dann den Weg abkürzen, statt den Kurs auf Riesebör beizubehalten. Keine Angst, wir sind nicht aufgelaufen. Während wir das Groß bergen passiert uns der Schleidampfer und als uns der Viertakter langsam in das unbekannte Fahrwasser schiebt, demonstriert eine 35 Fußyacht, dass wir auch unter Segel durch die Missunder Enge rauschen könnten. Aber wir Neulinge lassen uns nicht anstecken und gehen lieber auf Nummer sicher, genießen die Aussicht auf eine abwechselungsreiche Umgebung und fühlen uns an diesem herrlichen Spätsommerabend an den Svendborg Sund erinnert. So muss Urlaub sein.
Bei Tonne 98 liegt die Marina Brodersby querab und gleich dahinter kommt die Missunder Fähre in Sicht. Ganz langsam passieren wir die Liegeplätze und ganz am Ende entdecken wir einen freien Platz. „Ist der Platz frei“, rufe ich einem Mann am Ufer zu. „Gestern war hier noch jemand!“ „Okay, Morgen sind wir ja auch wieder weg“. Vorsichtig steuere ich die Box an. Als der Bug bereits durch die Pfähle ist, überrascht uns die Strömung, sodass ich Gegenruder geben, mich voll auf das Steuern konzentrieren muss. „Nebenbei“ stelle ich den Motor aus und bekomme wieder nur eine Achterleine über den Pfahl. Gott sei Dank hat Sabine die Vorleine bereits dem „Landmann“ zugeworfen. Jetzt kann nichts mehr schief gehen. Die zweite Achterleine holen wir nach, dann sind wir richtig fest.
Beim Ankommensschluck freuen wir uns über unseren ersten richtigen Schleitag und ziehen seemännische Konsequenzen aus verkorksten Anlegemanövern. Zukünftig legt Sabine zuerst die Luvachterleine über den Pfahl, damit ich mich nur um das Ruder und den Motor kümmern kann. Die Leeleine übernimmt weiterhin der Rudergänger, planen wir schon unsere Ankunft in Arnis, während die Boote in der Abendsonne an der Marina Brodersby vorbeiziehen. Otis Reding fällt mir plötzlich ein, der passt in diese Stimmung, aber mehr als die Titelzeile „Sittin on the dock of the bay, watching the boats ...”, kriege ich auch nicht mehr zusammen. Zum Glück hört niemand zu, denn obwohl in der Marina kein Platz mehr frei ist sieht man, außer auf drei Booten, keine Seeleute. Wo finden wir eigentlich den Hafenmeister? Der wartet oben in der Kneipe „Tonne 98“ auf Gäste und bekommt 6,50 € für den Liegeplatz. Man spürt überall, dass die Saison gelaufen ist – uns ist das nur recht.
Essen kochen? Ralf möchte lieber ins Missunder Fährhaus, weil da ganz bestimmt Wilfried Erdmann bei seinem Freund Heinrich Jöns, dem Wirt des Missunder Fährhauses, sitzt und hier jeden Abend von seinen Abenteuern erzählt. Wer Wilfried Erdmann ist? Deutschlands wohl bekanntester Weltumsegler und der wohnt gleich nebenan in Goltoft. „Ich möchte aber in der Sonne sitzen“, quengelt Sabine. Und Sonne gibt’s scheinbar nur gegenüber, auf der anderen Seite der Schlei. Das Gasthaus sieht genauso verlockend aus und gehört, wie wir später erfahren, natürlich auch Familie Jöns.
Als wir kurz darauf am Fährhaus ankommen empfängt uns eine Stimmung wie beim Casting für einen Vorabendfilm. Sonnenuntergang, Sonnenschirme, entspannte nette Menschen auf der grünen Wiese, aufmerksame Kellner, die Boote am Steg, davor die Schlei, auf der die Fähre eifrig die Seiten wechselt, wenn man so will, vom Restaurant zum Gasthaus und vom Gasthaus zum Restaurant Jöns. Wir schauen auf die Speisekarte und bleiben – im Restaurant.
Wilfried Erdmann ist jedenfalls nicht da und auch Heinrich Jöns lädt uns nicht zum Essen ein und sagt beiläufig, „... Astrid und Wilfried kommen später auch noch“. Getroffen hätte ich den berühmten Segler Wilfried Erdmann schon ganz gern, der ist doch früher genau wie ich zur See gefahren, aber was hätte ich ihm sagen oder fragen können? Vielleicht, dass sein „Grenzenloses Seestück“ mein Lieblingsbuch geworden ist und natürlich die „Ostseeblicke“. Ich hätte ihm auch noch gesagt, dass mir seine Törns viele Jahre später eine neue Welt erschließen und mich selbst zum Schreiben animiert haben und, „... Hallo, hallo Sie! Haben Sie schon gewählt“, holt mich der Kellner in den Vorabendfilm zurück. Wir bestellen Fisch und während wir auf das Essen warten, schauen wir uns die Szene genauer an. Viele Familien sind hier, viele Kinder, manche sogar mit den Großeltern.
Übrigens, …
ein paar Monate später treffen wir doch noch auf Wilfried und Astrid Erdmann. Unser Segelclub Mardorf hatte zu einer Veranstaltung eingeladen, in der Wilfried Erdmann seinen Kurs „Allein gegen den Wind“ vorstellt. Wir erleben beeindruckende Bilder und einen beein-druckenden Wilfried Erdmann, diesmal allein unter 100 Segelrinnen und Seglern.
Am Rande komme ich mit Astrid Erdmann ins Gespräch, die für den Verkauf der Bücher sorgt. „Gerade bin ich mit Ihnen in den „Nordseeblicken“ in Schottland unterwegs“, erzähle ich Frau Erdmann, „und jetzt treffe ich Sie hier am Steinhuder Meer…“ Später verrät Frau Erdmann, dass das nächste Segelprojekt schon vor der Tür steht, denn ihr Mann will in diesem Jahr sein „Grenzenloses Seestück“ nach 13 Jahren „wieder besuchen“.
Ich habe so viel über die Beiden gelesen, dass sie beinahe „zur Familie“ gehören, aber hier im „richtigen Leben“ sind sie natürlich fremd und prominent dazu. Über ihre Bücher haben Sie meine neue Welt mit erschlossen, mich an Begeisterung und Zweifel teilhaben lassen. Ganz bestimmt haben sie mich auch ein bisschen zum Schreiben inspiriert und an diese Stelle passt es: Vielen Dank, Astrid und Wilfried Erdmann.
Zurück an die Schlei.
Auf der grünen Wiese am Missunder Fährhaus gibt es viel Platz. Kleine und große Tische, Sonnenschirme, langweilige Spielgeräte für Kinder bis drei, da spielen die Kinder lieber Fangen. Die großen Jungs dominieren dabei die Kleinen und mittendrin zieht ein ganz selbstbewusster kleiner Junge unbeeindruckt und trotzdem vorsichtig größere Kreise. Dieser junge Mann hat gerade Laufen gelernt, sucht gelegentlich den Blickkontakt zu den Eltern und zeigt stolz seine Fortschritte. Dabei lacht der Kleine und strahlt eine ansteckende Zufriedenheit und Fröhlichkeit aus. Wer sind wohl die Eltern? Die kriegen das ja prima hin! Vor allem Sabine ist begeistert. „Sag mal, der Vater von dem Kleinen, das ist doch der Segler, der bei unserem missglückten Anlegemanöver in Schleswig die Vorleine übernommen hat. Der hat uns doch vor dem blanken Chaos gerettet“. „Genau, das isser“.
In diesem Moment kommt die Lachslasagne, der Brathering in Senfsauce, entwickelt sich der Kontakt zu Reinhard, der uns vor dem blanken Chaos gerettet hat, zu seiner Frau Ellen und zum kleinen Nils mit seinen Fortschritten. Das Essen schmeckt so gut, dass uns der stolze Preis ziemlich egal ist und am Ende dieses wunderbaren Tages landen wir im Cockpit der „Fuego“. Ellen und Reinhard haben die „Fuego“ gerade gekauft und sind auf ihrer ersten Reise. Der kleine Nils ist begeistert über meine Schilderung von einem „Außenborder im Schacht“ und will die Geschichte immer wieder hören. Als zwei Stunden später der Mond das Cockpit ausleuchtet erzählen wir gegenseitig von unseren Plänen. Ellen und Reinhard wollen schon bald, jedenfalls so lange Nils noch nicht eingeschult ist, zu einem längeren Törn aufbrechen und wenig später kennen die Geschichten und Träume der Segler keine Grenzen. Ellen und Reinhard lesen in den gleichen Büchern wie ich, waren mit Moitessier, Schenk und Erdmann unterwegs. „Habt ihr übrigens sein Boot gesehen“, fragt Ellen, „die „Kathena Nui“ liegt direkt neben dem Fähranleger“. „Was???“
Auf dem „Heimweg“ kommen wir am Fähranleger vorbei. Tatsächlich, da liegt die „Kathena Nui“, aber es ist viel zu dunkel, um wirklich einen Eindruck von dem Boot zu bekommen, das mehrmals um die Welt gesegelt ist. Zufrieden bis an den Rand schlafen wir ein – auf unserer „flexibel“, 6,50 x 2,10 m, Tiefgang 0,70 – 1,30 m - bei ausgeklapptem Schwert.
Von Missunde bis Arnis
„Brötchen gibt’s hier nicht“, erklärt der Wirt und Hafenmeister von „Tonne 98“, „in Brodersby gibt’s ’n Bäcker, aber bis dahin sind’s mindestens zwei Kilometer. Frag’ mal in der Werft nebenan, da steht bestimmt ’n altes Fahrrad...“ „Hat Helmut sich das Fahrrad unter den Nagel gerissen?“ „Da hinten muss doch noch eins sein“, wundern sich zwei Bootsbauer und suchen ein herrenloses Fahrrad für unsere frischen Brötchen. Schließlich wird es denen zu bunt, „... nimm mein Auto, aber pass’ auf die Wegfahrsperre auf“ und zehn Minuten später sind die frischen Brötchen an Ort und Stelle. Inzwischen sind es knapp 30 Grad und kein Schatten im Cockpit. Nun muss die schwere Bundeswehrplane Schatten spenden, aber damit geht leider auch die schöne Aussicht auf die Schlei flöten.
Trotz der seit Tagen hohen Temperaturen funktioniert unser „Kühlsystem“. Alle empfindlichen Lebensmittel lagern tief unten in einer Backskiste unter der Wasserlinie. Dadurch kann die Temperatur wenigstens nicht über die Wassertemperatur ansteigen, aber das sind immerhin 22 Grad. Bevor wir auslaufen besuche ich noch die „Kathena Nui“, die direkt neben dem Fähranleger liegt. Mit einigen Fotos bin ich ein paar Minuten später wieder zurück. Vor dem Auslaufen besprechen wir unseren Törn und das Ablegemanöver. Unser Tagesziel ist Arnis. Dorthin wollen Ellen, Reinhard und Nils ebenfalls mit der „Fuego“ segeln. Nach der Missunder Enge, am Ausgang des Brodersbyer Noor, werden wir Segel setzen, später die Insel Kieholm passieren, die Klappbrücke von Lindaunis, Sieseby und schließlich Arnis erreichen.
Das Ablegemanöver wollen wir ohne Motor fahren, doch es kommt wieder anders. Als das Heck die Achterpfähle passiert heben sich Wind von Steuerbord und Strömung von Backbord auf. „flexibel“ dreht nicht wie geplant in den Wind, also doch den Motor an, rückwärts von den Pfählen weg und endlich drehen wir in Fahrtrichtung. Wir passieren die Missunder Fähre, „Kathena Nui“ und schon bald öffnet sich die Schlei, sodass wir in der Einfahrt zum Brodersbyer Noor die Segel setzen. Zwar haben wir den Wind von vorn, doch bei 4 Bft. lässt es sich vortrefflich segeln und wir kommen gut voran. Unterwegs sehen wir Boote, die wir bereits in anderen Häfen oder beim Ankern getroffen haben. Mit dieser Karawane segeln wir weiter, gerade so, als wäre auch das Hochdruckwetter untrennbar mit unserem Schiff verbunden. „Gab es hier eigentlich schon immer so viele Campingplätze“, erinnere ich mich zweifelnd an frühere Radtouren? Kieholm kommt in Sicht, eine Insel die nur ortskundige östlich umfahren sollen, mahnt die Seekarte und ganz in der Ferne erkennt man bereits die Klappbrücke von Lindaunis.
An Steuerbord liegt der kleine Hafen von Hülsen. Hier macht sich eine Etap 21 auf den gleichen Weg. Auf der anderen Seite grüßen die Häuser von Ulsnisstrand und der Wind briest hier etwas auf. Die Wellenkämme brechen und ziehen Schaumspuren hinter sich her, wir sind dicht bei 5 Bft, aber „flexibel“ lässt sich noch gut segeln. Immer wieder müssen wir auf Steuerbordbug Gegenkommern ausweichen und das Vorankommen wird mühsamer. Die Etap aus Hülsen kommt jetzt von Steuerbord auf, aber wir werden sie rechtzeitig passieren, verschätze ich mich. Die ist schneller als erwartet, kommt bedrohlich nahe und ist plötzlich auf Kollisionskurs. Abfallen geht nicht mehr, vielleicht doch eine Wende? Zu spät, ich behalte den Kurs bei, denn der Skipper kann unsere Mühe auf Amwindkurs gut erkennen und bräuchte nur ein wenig abfallen und schon gäbe es kein Problem mehr…
Damit zwingen wir den Skipper zu einem Ausweichmanöver und sein zynischer Kommentar, „... die Regeln kennt ihr!?“, wird mich noch lange beschäftigen. Ich habe der Etap das Wegerecht genommen und hatte doch genügend Zeit, rechtzeitig den Kurs zu ändern. Das passiert mir hoffentlich nie wieder, ärgere ich mich schwarz, ja, die Regeln kenne ich. Das Gunnebyer Noor öffnet die Schlei zu einem See, sodass wieder größere Schläge möglich sind. Gegen 15.30 Uhr erreichen wir die Klappbrücke von Lindaunis. Nach und nach kommen immer mehr Yachten auf, lassen sich treiben oder fahren ganz langsam, denn die Brücke öffnet viertel vor voll!
Wir haben die Segel geborgen und ziehen mit so viel Geschwindigkeit vor der Brücke unsere Kreise, dass wir uns im Wind halten können. Oben passiert noch ein Zug die Brücke bevor endlich die Autos halten. Das Signal für die Schifffahrt zeigt immer noch ein weißes über zwei roten Lichtern. Dann endlich nur noch ein rotes Licht, d.h. die Öffnung wird vorbereitet. Sofort düst eine Yacht an uns vorbei auf die sich öffnende Brücke zu. Alle anderen starten ebenfalls und da wir vorn dabei sind hängen wir uns gleich in’s Kielwasser der ersten Yacht. Als wir durchfahren steht das Signal zwar immer noch auf rot, doch die ersten Gegen-kommer sind auch schon durch. Wieder eine Regel nicht eingehalten, aber ich konnte mich dem Sog und dem Druck der hinter uns aufkommenden Boote einfach nicht entziehen, da sind „the“ schon wieder mit mir durch gegangen. Geht es Ihnen auch so, kein Auto in Sicht und als Fußgänger bei rot über die Straße? Auf Kinder achten wir natürlich alle, Ehrenwort.
Nach der Brückendurchfahrt setzen wir die Segel für den letzten Streckenabschnitt und staunen, wie hoch die anderen Yachten an den Wind gehen können. Wir müssen kreuzen und die können ihren Amwindkurs halten? Sind unsere Segel zu alt, ausgeleiert und erzeugen nicht mehr genügend Vortrieb? Müssen wir nicht das Schwert fieren, aber dann schieben wir noch mehr Lage? Wir entschließen uns zu reffen, denn manche Böe macht uns zu schaffen. Die Krängung wird einfach zu groß und oft landen wir bei 35 - 40o. Bei so viel Lage kann man nicht mehr im Cockpit sitzen, nur noch stehen, aber bei so viel Wind haben wir noch nie gerefft - oder? Wir warten, bis kein Boot in der Nähe ist. Sabine versucht, uns im Wind zu halten, damit ich das Groß reffen kann, aber das Manöver gerät zur Geisterfahrt. Wir trudeln über die Schlei, wenden drei oder viermal unfreiwillig, schreien uns an, sind genervt, bis wir endlich kapieren, dass es so überhaupt nicht klappen kann. Am Ende schaffen wir es doch und was dazu im Lehrbuch steht, ist uns sowas von egal:
So ist es richtig: Bis fast in den Wind anluven, ohne in den Wind zu drehen. Die Dirk durchsetzen und danach die Großschot fieren. Jetzt das Großfall so weit fieren, bis die Mastliekkausch heruntergezogen und festgesetzt werden kann, danach das Großfall wieder durchsetzen. Nun wird die Achterliekkausch zum Schothorn durchgeholt, belegt und die Dirk wieder gelöst, bzw. wird sie bei der Varianta nur ausgehängt. Nun kann die Schot wieder dicht geholt werden.
Bei diesem „Manöver“ schaut hoffentlich nicht Schleswig Holsteins schönstes Dorf zu. Wir passieren nämlich gerade das malerische Sieseby und haben zeitweise in Böen 6 Bft., doch nach dem Reffen ist die Krängung nicht mehr so stark. Wenig später haben wir Karschau an Backbord. Hier habe ich mir mal den Zeh gebrochen, als mich „meine Jugendlichen“ vom Steg ins Wasser schubsten. In’s Wasser? Das war nur 10 cm tief und nur ein paar Meter vom Tatort entfernt zogen Taucher letztes Jahr die Fragmente eines 25 Meter langen Frachtschiffes aus der Schlei. Das aus dem Hochmittelalter stammende Schiff wurde um 1140 gebaut, stellten Experten fest. Es war mindestens 30 Jahre gefahren, lese ich im Internet, darauf deuten die Abnutzung und zahlreiche geflickte, mit Teer ausgequastete Lecks hin. Welche Körner die Besatzung knabberte, welche Früchte die Seemänner genossen und welches Fleisch sie vertilgten, auch das wissen die Forscher. Alle möglichen Essensreste blieben damals im heißen Sommer im weichen Teer zwischen den Planken kleben. Inzwischen sind alle Teile des Karschau-Schiffes in Originalgröße auf Folie gezeichnet und werden von dänischen Wissenschaftlern in Roskilde in den Computer gescant. Derzeit wird ein verkleinertes Bootsmodell gebaut, um Ladevermögen und alle anderen Eigenschaften zu ermitteln. Was wird die Wissenschaft wohl über unseren Törn in 1.000 Jahren berichten?
Kurz vor Arnis bergen wir die Segel, weil wir fürchten durch die Böen im engen Fahrwasser aus dem Ruder geworfen zu werden. Wir sind und bleiben vorsichtig. Die Erinnerung an den ersten Ausflug zur Stexwiger Enge sitzt. Wir begegnen dem ersten Kümo, passieren die „Schleiperle“, die Fähre, ein paar teure Yachten und schnuppern während der Durchfahrt von Arnis erstmals so was wie Hafenatmosphäre. Bevor wir den Hafen der WSG-Arnis durch die „Pappelallee“ erreichen, müssen wir, um im Fahrwasser zu bleiben, einen großen Bogen Richtung Kappeln fahren. Da hatten es die Wikinger mit Arnis leichter, das bis 1796 noch eine Insel war.
Jetzt aber volle Konzentration, dieses Anlegemanöver muss sofort gelingen, weil wir noch immer starken Wind haben, der quer zu den Boxen pfeift. Gleich am ersten Steg entdecken wir einen freien Liegeplatz. Leinen und Fender sind vorbereitet und mit unserer neuen Anlegestrategie, Sabine übernimmt zunächst die luvseitige Achterleine, während ich die leeseitige nehme, fahren wir in die Box. Am Steg übernimmt ein hilfsbereiter Segler die Vorleine, doch dann stoppt ein Knoten in der verlängerten Achterleine die langsame Fahrt voraus. „Das darf nicht wahr sein“, fluche ich, aber irgendwie wurschteln wir uns an den Steg. „Anfänger“, denke ich, aber die Anfänger sind jetzt wenigstens fest. Wir genehmigen uns den Anlegeschluck und sprechen dabei das Manöver in Ruhe durch, um aus den Fehlern zu lernen. Dieses Ritual werden wir beibehalten. Na dann Prost. Der Hafenmeister ist noch da und die WSG-Arnis macht auf uns einen sehr gepflegten Eindruck, genau so wie es Andreas Jahnke beschrieben hat. Diesmal gibt es für Toiletten und Duschen keine Karte und keine Münze sondern eine Codenummer. Die muss man eingeben, wenn man muss. In jedem Hafen ein neues System. Geht das auch anders?
Der vor dem Ablegen in Brodersby vorbereitete Milchreis hat, geschützt unter der Bettdecke, alle Manöver und Krängungen gut überstanden und belohnt uns für einen anstrengenden Tag. Den anschließenden Spaziergang durch die kleinste Stadt Deutschlands, Arnis hat 350 Einwohner und besteht im Prinzip auch nur aus einer Straße, genießen wir sehr. Als wir uns am Ufer auf einer kleinen Bank niederlassen ist es bereits stockdunkel. Eine Katze streicht plötzlich um unsere Beine, springt auf die Lehne der Bank, kuschelt mit ihrem Katzenbuckel an Schulter und Nacken und schnurrt leise, ganz leise miau. Als dann auch noch der gute Mond über der anderen Uferseite so stihille aufgeht und ein ausgiebiges Bad in der silbern schimmernden Schlei nimmt, gibt es wieder so einen Moment, von denen es im Leben nur ganz wenige gibt.
Wir genießen diesen magischen Augenblick und sind in Gedanken ganz nah bei unserer vor wenigen Tagen verstorbenen Freundin. Jetzt fehlt nur noch eine Sternschnuppe oder das Ende des Regenbogens, damit ihre Wünsche wenigstens in ihrer Welt in Erfüllung gehen, wünschen wir uns. Morgen werden wir zur Beerdigung nach Hannover fahren, unsere Reise für zwei Tage unterbrechen und am nächsten Abend wieder in Arnis sein. Doch bis uns der Bus um 14.00 Uhr zu unserem Auto nach Schleswig bringt haben wir noch viel Zeit. Wir genießen das ausgiebige Frühstück in der Sonne und nebenbei lese ich Sabine aus der Geschichte von Arnis vor, z.B. dass 1667 die ersten Siedler aus Kappeln auf die damalige Insel Arnis fliehen mussten, um der drohenden Leibeigenschaft des Gutsherrn Detlef von Rumor zu entgehen.
Nach dem Frühstück treffen wir Ellen, Reinhard und Nils wieder, die ein paar Stege weiter liegen. Ihre erste Reise mit der „Fuego“ geht leider bereits am Samstag zu Ende und überraschend schließen sich die drei unserer Busreise an, weil sie ihr Auto aus Kiel nach Kappeln holen müssen. Und da es jeden Freitagabend im Segelclub Kappeln ein Grillfest geben soll, könnten wir morgen Abend Wiedersehen und Abschied zugleich feiern, verabreden wir im Bus zwischen Arnis und Süderbrarup. Hier steigen wir in den Bus nach Schleswig um, während unsere drei neuen Freunde auf den Zug nach Kiel warten. Tschüss, bis morgen Abend.
Als wir am nächsten Tag auf der A 7, von Hannover kommend, die Gewitter im tiefen Süden hinter uns lassen, wird klar, dass wir Grillfest und Abschied vergessen können, es ist einfach schon zu spät geworden. Mit unserem Trailer, den wir aus Schleswig mitnehmen, kommen wir erst gegen 21.30 Uhr in Arnis an. Handynummer? Fehlanzeige. Sprechfunk? Hab’n wir nicht. Wie schade… und dann noch so was. Ein gut sichtbarer Zettel am Steg, „...bitte verlassen sie diesen Liegeplatz“ verbreitet schlagartig schlechte Laune. Als wir Vorgestern hier festmachten verkündete ein grünes Schild, dieser Platz ist frei und jetzt sollen wir plötzlich hier weg? Warum? Als der Skipper - vermutlich ein Nachkomme des wenig beliebten Kappelner Gutsherrn Detlef von Rumor - vom Nachbarboot unsere Ankunft bemerkt, werden wir in dunkler Nacht sehr unfreundlich darauf hingewiesen, dass dies ihr Platz sei, „... wir sind eher als geplant von einem Törn zurück gekommen“. Als wir erklären, dass wir Morgen sowieso auslaufen wollen, kehrt zwischen der LM 27 und der Varianta wieder Ruhe ein, Frieden ist etwas anderes.
Ein Katzensprung von Arnis nach Kappeln
Am Samstagmorgen weckt uns der Wasserschlauch unserer „neuen“ Nachbarn. Egal ob wir noch schlafen oder nicht, drüben ist schon vor dem Aufstehen Reinschiff angesagt. Die sind einfach laut und wie auf einem Campingplatz versteht man jedes Wort – sollen wir wohl auch. Noch verschlafen wischen wir, damit wir nicht ausrutschen, den Morgentau von unserem Boot, aber der nachbarschaftliche Wasserstrahl geht schon mal gnadenlos über die gerade abgetrockneten Stellen. „Entschuldigung, das wollte ich nicht“, will ich gar nicht mehr hören, bloß weg hier, sind meine Gedanken, aber ohne Frühstück? Kommt nicht in Frage.
Beim Frühstück genießen wir den Blick aus unserem Cockpit über die Schlei rüber nach Kopperby, Lüttfeld und Arnis. Möwen, Enten, Seeschwalben halten fotogen ihre Flucht-distanz auf den Pfählen und Wellenbrechern ein. Doch die friedliche Stimmung und das Konzert der Seeschwalben wird unverhofft durch einen Schuss weggeballert: Der Nachbar hat wirklich einen Knall und eine Schreckschusspistole obendrein, es wird höchste Zeit, der Waffengewalt zu weichen. Die Seeschwalben haben ohnehin die Schnauze voll, wir auch.
Das Ablegemanöver wird bei fünf Beaufort wieder zu einer schwierigen Übung, denn der Außenborder ist starr am Heck angebracht. Da ich den Steuergriff vom Kurzschafter beinahe ganz hochklappen muss, kann ich ihn kaum zur Seite bewegen und damit steuern. Ich kann fast nur Gas geben oder wegnehmen. Dadurch haben wir beim Wenden einen riesengroßen Radius, geradeaus geht es aber prima. Draußen auf der Schlei üben wir deshalb Manöver auf engem Raum, z. B. wenden und rückwärts fahren, bevor wir uns auf das Hafenmanöver in Kappeln einlassen.
Von Arnis nach Kappeln ist es nur ein Katzensprung. „Amanda“, die historische Windmühle, bewacht den Norden der Stadt und im Süden werden die heimkehrenden Seeleute seit Jahrhunderten von der St. Nicolaikirche begrüßt. Wir passieren die Mittelmannwerft, haben den Museumshafen an Backbord und wagen uns vorsichtig in den südlichen Teil des Yachthafens. Am Ende müssen wir wenden und obwohl das Ruder hart backbord liegt rauschen wir mit einem kräftigen Schub geradeaus auf ein anderes Boot zu. Die Varianta lässt sich mit dem Außenborder einfach nicht drehen. Wind und Strömung versauen das Manöver vollends und als ich rückwärts gebe, geht der Motor aus. Da kriegst’e Schweiß-perlen auf die Stirn. Vorn hält uns Sabine todesmutig von einem Achterpfahl aus Eisen ab, bis ich unser tolles Segelboot wieder unter Kontrolle habe.
Dafür gelingt uns das Festmachen in der Box diesmal ganz gut, aber beim Anlegeschluck streiten wir, ob ich vorsichtig oder kräftig Gas geben muss. Da das Ruder aber nur reagiert wenn Fahrt im Schiff ist, „verständigen“ wir uns auf die letztere Variante. „Sag’ ich doch!“ Hat uns der Ballermann so beeindruckt, dass wir jetzt angefressen reagieren? Dann hören wir vom Steg aus die Pfeife einer Dampflok, die von Kappeln als historische Bahn bis Süder-brarup verkehrt. Das ist ja ein netter Zug, so ein Empfang in Kappeln. Außerdem gratulieren wir dem Hafenmeister, der uns seine betagtesten Fahrräder leiht, zu seinem 56. Geburtstag.
Damit klappern wir durch Kappeln, radeln an der Kaimauer entlang, sehen den Heizern am „Sonderzug nach Süderbrarup“ zu, entdecken die neue Schleibrücke, die im Gegensatz zur alten Drehbrücke, noch keinen Charme entfalten will. Wir schnuppern Hafenatmosphäre, freuen uns über die Traditionssegler, die bunten Ausflugsschiffe und Fischer und nur ein paar vorsätzlich betrunkene Thüringer Djschungs, nebst obligatorischem Bölkstoffkinder-wagen, wirken leider ziemlich ernüchternd. Sind die blöd. Morgen werden sie sich in ihrer Kneipe zu Helden erklären. Würstchen sind das, Thüringer Bratwürstchen!
Wir flanieren, stöbern im Buchladen, wandeln auf den Spuren der Landarztserie durch die Stadt und landen schließlich auf dem Balkon von „Amanda“, der holländischen Windmühle. Ein ehrenamtlicher Mitarbeiter erläutert uns, weit jenseits der Schließzeiten, ausführlich die Mühle und die Fotoausstellung über den Brückenbau. Vielen Dank.
Kappeln - Maasholm
Beim Aufwachen höre ich noch immer die Windgeräusche des letzten Tages. Pfeift es etwa immer noch mit 5 Beaufort? Als ich den Kopf aus der Luke stecke ist draußen der Wind verweht. Kein Lufthauch regt sich. Den heulenden Wind produziert ein Industrieventilator drüben bei Nestlé. Wer in Kappeln festmachen will ist im nördlichen Teil des Yachthafens besser bedient, dort ist es erheblich leiser, aber auch ein wenig teurer.
Heute hat das schöne Wetter eine Pause eingelegt, denn immer wieder ziehen dicke Wolken mit leichten Schauern durch, doch am späten Vormittag sehen die ihren Irrtum ein, sodass wir wieder draußen frühstücken. Um 12.40 Uhr legen wir mit Ziel Maasholm ab. So gelassen, das haben wir uns jedenfalls vorgenommen, werden wir zukünftig alle Manöver angehen. Gleich wird die Drehbrücke öffnen und dann liegt der ungehinderte Zugang zur Ostsee vor uns. Als immer mehr Boote vor der Brücke in Warteposition gehen, werde ich doch ein bisschen nervös. Es wird immer enger und nicht noch einmal, das nehme ich mir vor, werde ich bei rot eine Brückendurchfahrt passieren.
Dann verläuft alles sehr geordnet. Irgendwo reihen wir uns ein oder werden eingereiht. Dabei müssen wir unser Tempo gut dosieren, um nicht auf die vor uns fahrende Yacht aufzulaufen. Während der Brückenpassage winken uns viele Menschen zu, als würden wir nach Amerika auswandern und alle Brücken hinter uns abbrechen. Dabei wollen wir nur nach Maasholm, aber das verraten wir natürlich nicht und winken, so wie Auswanderer das auch tun würden. Gleich nach der Brückendurchfahrt setzt ein Riesenkatamaran bereits die Segel und rollt das Feld gnadenlos von hinten auf. Andere folgen, doch wir fahren an die rechte Seite des Fahrwassers, genießen den Rückblick auf Kappeln und lassen die anderen Boote passieren. Inzwischen traut sich sogar die Sonne hervor und eine leichte Brise schiebt uns Maasholm entgegen. Auf beiden Uferseiten wird die Hafen- von einer Parklandschaft abgelöst. Die Siedlungs- und Ferienhäuser werden zu bäuerlichen Anwesen, obwohl da vermutlich kein Bauer drin wohnt. Bei Tonne 30 wird die Schlei immer breiter und schwenkt nach Osten. Maasholm kommt in Sicht und sogar Schleimünde ist bereits in der Ferne auszumachen.
Der Wind will sich nicht entscheiden, ob er einschlafen oder nur eine Pause einlegen will, aber wir haben ja alle Zeit der Welt. Inzwischen hat sich die Sonne endgültig durchgesetzt und wir entschließen uns, das Wormshöfer Noor zu erkunden, bevor wir in Maasholm festmachen. Holm heißt doch auf dänisch Insel. War Maasholm also früher auch eine Insel? Genau und zu Wikingerzeiten sogar ein wichtiger Hafen. Der Zugang von Haithabu zur Ostsee führte damals durch das heutige Wormshöfer Noor, auf dessen Grund noch ein Wrack der normannischen Seefahrer liegt. Landabbruch und –anspülung ließen diese Verbindung zur Ostsee im Laufe der Jahrhunderte verlanden.
Die Seekarte zeigt, dass wir Maasholm dichter passieren müssen, da eine Untiefe die Zufahrt verengt. Wir haben einen malerischen Blick auf Maasholm, die Schifferkirche, die langen Grundstücke der Fischerhäuser, die mit eigenem Steg bis in’s Wasser reichen. Weiter nördlich die kleine Werft mit ihrem Yachthafen und dann liegt das Noor wie eine unberührte Landschaft vor uns. Eine halbe Stunde später rasselt die Ankerkette, klappen wir die Badeleiter aus und dann sind Eva und Adam ganz allein im Paradies. Gegen 17.00 Uhr setzen wir die Reise fort und versuchen das bisschen Wind in Geschwindigkeit umzusetzen, doch allein schon der Versuch ist eine Herausforderung. Nach der Wende kommen wir exakt an der gleichen Stelle wieder an – der „Wind“ hat gedreht.
Unter Motor steuern wir schließlich den Fischerei- und Yachthafen an. Diesmal wird uns das Anlegemanöver garantiert gelingen. Na klar, neben einer Studentencrew aus Kiel, die schon aus der Ferne darum bittet, endlich auch mal jemand helfen zu können, kommen wir gerade recht. „Täter-Opfer-Ausgleich“ nennen das Richter und Sozialpädagogen, dem wollen wir uns nicht entziehen. Der Hafenmeister in Maasholm ist ein freundlicher, hilfsbereiter Mann und hört sich Sabines spontane Verbesserungsvorschläge geduldig an. „Wir sind ein kommunaler Hafen“, entschuldigt sich der öffentliche Dienstleister, „...bevor sich hier was ändert“, aber da hat Sabine schon das hannöversche Vorschlagswesen erläutert. „Duschen können sie hier natürlich jederzeit, aber dafür sind 50 Cent fällig“, lernen wir die nächste sanitäre Variante eines Yachthafens kennen. Endlich sind wir einklariert.
Die späten Spaghetti und der leichte Rotwein bilden den kulinarischen Auftakt für den nächtlichen Spaziergang durch Maasholm. Es wird der Weg durch eine Puppenstube. Der volle Mond beleuchtet die kleinen, liebevoll restaurierten Fischerhäuser, die grob gepflasterte Hauptstraße und diesmal treffen wir auf die kleinste Sparkasse Deutschlands. Maasholm ist schon eine besondere Station auf unserer Reise. Morgen früh werde ich noch schnell die fehlende Seekarte einkaufen und dann wagen wir uns auf die Ostsee – vorausgesetzt das Wetter spielt mit.
Von Maasholn nach Gelting über die Ostsee
Da wir ab heute richtig zur See fahren werden, höre ich ab sofort jeden Morgen, um 8.30 Uhr den Seewetterbericht auf NDR IV (700 MHz Mittelwelle). Für den Bereich „Westliche Ostsee“ wird umlaufend 3, später 3 – 4 Bft. vorhergesagt. Auch für die angrenzenden Vorhersage-gebiete wird bis morgen Mittag keine Wetterveränderung erwartet. Jetzt fehlt uns nur noch die Seekarte für die Flensburger Förde, aber die gibt’s sicher gleich in der berühmten Seekiste (Segelladen). Dort kriegt man alles, verspricht Schlei online. Doch genau diese eine Seekarte ist hier leider ausverkauft! „Nach Gelting kommt ihr bei diesem Wetter auch ohne Seekarte“, sagt der Ladenskipper locker, „und in Gelting kriegt ihr die Karte ganz bestimmt“. „... aber wir sind Anfänger“, gebe ich zu bedenken. „Das ist wirklich kein Problem, das schafft ihr leicht“.
Als ich danach reichlich frustriert die Brötchen vom Bäcker hole, habe ich plötzlich die „Seekarte“ in der Hand: Die Brötchentütennavigation!!! Na klar, davon hat unser Skipper letztes Jahr erzählt. Auf dem Weg zurück an Bord gehe ich die Küstenlinie auf der Tüte durch. Genau, nach ca. 10 Meilen kommt der Leuchtturm Falshöft und weitere 10 Meilen nördlich der Leuchtturm Kalkgrund, ca. 5 Meilen vor der Küste. Hier steigt die Wassertiefe auf weniger als 2 m an oder? Nach Kalkgrund müsste man mit südlichem Kurs Gelting erreichen. An eine Windmühle am Ufer erinnere ich mich noch, als wir vor Jahren einmal mit dem Fahrrad das Naturschutzgebiet Birk erkundet haben. Aber reicht die Erinnerung für den Seeweg nach Gelting? Stimmt das überhaupt? An Details haben die Bäcker leider nicht gedacht.
Zurück an Bord befreie ich die Brötchen aus ihrer „Karte“. Dabei fällt mir die kleine Übungskarte aus dem SKS-Buch wieder ein, das haben wir doch mit?. In der kleinen Übungskarte finde ich meine Anhaltspunkte bestätigt. Die Wassertiefen sind drin, See-zeichen, eigentlich alles, nur wissen wir nicht, wie alt die Übungskarte ist und außerdem fehlt ein Hafenplan von Gelting. Aber mit dieser Karte und der stabilen Wettervorhersage entscheiden wir uns, zu segeln. Um 13.00 Uhr sind die Leinen los und wenig später sind wir im schmalen Fahrwasser, diesmal mit Kurs Schleimünde. Der Außenborder schiebt uns die Tonnen „abwärts“. In Schleswig begann die Reise bei Tonne 147, jetzt passieren wir bereits Tonne fünf. Von Windstärke drei keine Spur, aber wer weiß wie das auf der Ostsee sein wird.
Vor dem großen Wasser habe ich Respekt, aber die Freude, dass wir jetzt allein mit unserem Boot raus fahren, sorgt für absolute Glücksgefühle. Vor einem Jahr waren wir hier draußen auf einer 10 m Yacht von Høruphav unterwegs zur Prüfung nach Laboe. Damals hatte der Skipper die Verantwortung, jetzt liegt sie bei uns. Über unsere 6,5 m „flexibel“ mache ich mir keine Sorgen, nur das von den angekündigten drei Windstärken soeben zwei Bft. erreicht werden, stimmt mich eher skeptisch. Schleimünde kommt näher, der kleine Schutzhafen, die „Giftbude“, die lange Mole und dann der schwarzweiß gestreifte Leuchtturm. Um13.30 Uhr sind wir durch, hinter uns die Schlei, vor uns die Ostsee. Nur noch das Tonnenpaar zwei und eins sowie die Ansteuerungstonne weisen auf die Schlei hin.
Achteraus liegt die Hafeneinfahrt von Olpenitz und an Backbord die lange Küstenlinie mit den so charakteristischen Baumgruppen. Im Nordosten, ganz fein zwischen Himmel und Ostsee, die dänische Insel Ærø. Wir setzen Groß und Genua und der Motor kommt endlich zur Ruhe. Jetzt ist es ganz still auf dem Wasser. So ruhig haben wir uns die Ostsee wirklich nicht vorgestellt. Tiefer Frieden. Wir genießen diesen, na ja, historischen Moment und denken an unsere kurze Segelgeschichte zurück. Sabine hatte vor zwei Jahren auf Korfu eine wunderbare Idee, als sie mit diesen vier Worten einen Kurswechsel einleitete „... warum eigentlich kein Schiff?“ Wieder fallen uns unsere Begleiter ein, also stoßen wir auf Neptun und Rasmus an, auf Lena und Hans, auf Skipper Jens, auf unsere SKS-Gruppe und auf unseren so schnellen Weg von Korfu bis hierher. Der erste Schluck geht an Neptun, aber den zweiten gönnen wir uns. „Allzeit gute Fahrt“.
Mit wenig Fahrt rutschen wir die Küste hoch. Wir haben leichten, ablandigen Wind und segeln dicht an den in der Übungskarte eingezeichneten „Großen Steinen“ entlang. Hin und wieder passieren andere Yachten und da drüben am Strand wird Urlaub gemacht, da liegen die Leute in der Sonne. Die Badegäste freuen sich ganz bestimmt, dass der Wind immer mehr einschläft. Was hatte der Wetterbericht versprochen, drei bis vier Beaufort? Statt zu segeln cremen wir uns wieder einmal ein, um uns gegen die Sonne zu schützen. Damit hatten wir jeden Tag genug zu tun. Ende August wird man scheinbar von der Sonne verwöhnt. Und braun sind wir geworden, das geht auf dem Wasser viel schneller als da drüben an Land. Endlich, nach drei Stunden kommt Falshöft langsam in Sicht, aber gleichzeitig wird der Wind immer schwächer und aus umlaufend drei wird „umlaufend null“. Wie war hier wohl das Wetter, als ganz in der Nähe ein holländisches Plattbodenschiff sank? Taucher berichten, dass sich an den Bordwänden des 40 m langen und 7 m breiten Schiffes sogar noch die großen schwenkbaren Schwerter erkennen lassen.
Vor Falshöft geht nichts mehr. Nahezu vier Stunden haben wir von Schleimünde bis Falshöft gebraucht. Wenn wir Gelting noch bei Tageslicht erreichen wollen, dann nur mit dem Motor. Also bergen wir die Segel und dann kommt der Außenborder wieder zum Einsatz. Am Horizont taucht nun langsam die Südspitze „Kegnaes“ der dänischen Insel Als auf. Mit Bleistift, Zirkel und Dreieck waren wir schon so oft hier – erinnern wir uns an die Übungs-aufgaben im SKS-Kurs. Und den Leuchtturm Kalkgrund kennen wir natürlich auch schon lange, aber so weit brauchen wir gar nicht motoren, verspricht uns die „Karte“. Mit unserem geringen Tiefgang können wir schon bei Tonne fünf den Kurs über den Kalkgrund nach Westen absetzen. Doch wo liegt Tonne fünf? Ich suche immer wieder mit dem Fernglas die Kimm nach dieser Tonne ab, aber keine Spur, wir müssen unseren Kurs noch beibehalten.
Wenig später entdecken wir Tonne K statt fünf, aber wir sind sicher, dass dies die gesuchte Tonne sein muss. Wir gehen auf Westkurs und fahren wenig später über helles Wasser: Hier ist es zwei Meter flach, wir sind auf dem Kalkgrund. Bei Starkwind wäre es sehr gefährlich, denn hier kann sich eine hohe See aufbauen, aber heute baut sich gar nichts auf. Als wir den Leuchtturm an Steuerbord querab haben, können wir Gelting bereits im Fernglas erkennen. „Nach Gelting kommt ihr bei diesem Wetter auch ohne Seekarte“, hatte der Ladenskipper ja gesagt. Nun kann uns nichts mehr passieren, aber wo ist der Hafen? Beim Näherkommen finden wir die in der Übungskarte eingezeichnete Ansteuerungstonne nicht, dafür entdecke ich an der Küste die Windmühle „Charlotte“.
Kurz darauf kommen sogar zwei Häfen in Sicht, nur welches ist Gelting und wie heißt der andere Hafen? Wir entscheiden uns für den größeren und kurz vor der Einfahrt finden wir sogar die Ansteuerungstonne. Ganz vorsichtig rutschen wir tatsächlich nach Gelting rein und um 18.45 Uhr sind wir fest. Damit liegt der erste Törn über die Ostsee, mit der Brötchentüte im Gepäck, hinter uns. Der Hafenmeister ist zum Glück noch da, der Segelladen hat geöffnet und die für die Weiterfahrt dringend benötigte Seekarte gibt es auch noch, aber es ist wirklich die Letzte, Schlussverkauf! So geht an der Küste der Ausverkauf der Saison zu Ende. Die ersten Boote werden bereits aus dem Wasser genommen und natürlich gelten in Gelting andere Preise. Von einem neuen und ungewohnten Duschmarkensystem, diesmal wieder mit Zeitbegrenzung, ganz zu schweigen. Wenig später verfolgen wir auf der nagelneuen Seekarte unseren soeben „gesegelten“ Kurs, und richtig, Tonne fünf heißt jetzt Tonne K. K wie Kalkgrund. Klar?
Mit GPS von Gelting nach Sønderburg
Wochentag
Dienstag | Datum
27. August | Hafen
Gelting | Barometer
1016 hPc |
Wind aus/Beaufort
4 aus NON | Temperatur
28 o | Wolken
Diesig und bedeckt | Wetter Undefinierbare Wolken und recht warm |
Auslaufen Gelting
12.30 Uhr | Logge beim Auslaufen
1888,7 sm | Festmachen Sønderborg 16.00 Uhr | Gesegelte Meilen
8,2 sm |
Für die westliche Ostsee sind Ost-Nordost 5 und für Belte und Sund umlaufend 2 – 4 mit Gewitterböen vorhergesagt. Da wir uns am Eingang der Flensburger Förde befinden, können beide Vorhersagen auf uns zutreffen – und so kommt es auch. Doch bevor wir uns entscheiden, „koppeln“ wir den Kurs, schließlich sind wir zum Lernen und nicht zu unserem Vergnügen hier. Allerdings setzt sich das Vergnügen gegen die Seemannschaft durch und erstmals nehmen wir das neue GPS-Handy in Anspruch. Damit werden zwei Wegepunkte auf die Kurslinie zwischen Ansteuerungstonne Gelting und Sønderborg gesetzt. Wir nennen die beiden Wegepunkte E1 und E2. E steht für Entscheidung, denn bei zu starkem Wind können wir an dieser Stelle entscheiden, vor dem Wind in die Flensburger Förde abzulaufen.
Gegen 12.00 Uhr lässt der Wind etwas nach und da müssen wir einfach nach Dänemark segeln. Gut, dass Sabine bemerkt, dass der Wind nicht aus NNO sondern aus ONO kommen soll, damit haben wir eher halben Wind als einen Amwindkurs. Was wir nicht bemerken, ist, dass das Barometer um 5 hPc. gefallen ist. Ich schreibe zwar täglich den Barometerstand auf, beziehe die Veränderungen aber nicht in meine lokale Wetterprognose ein. Die heutigen Erfahrungen werden dazu führen, dass ich ab sofort die Luftdruck-änderungen in + oder – aufschreiben werde. Wir lernen ja noch und erste Fortschritte erleben wir z.B. bei immer besseren Hafenmanövern. Nach dem Auslaufen hat uns in der Geltinger Bucht sofort das GPS in der Hand. Wir steuern mit 340o Dänemark entgegen und „E1“ ist 2,8 sm entfernt. Außerdem zeigt das GPS, dass wir sechs bis sieben Knoten schnell sind – für unsere Varianta ein Höllentempo. Der „halbe Wind“ weht mit vier Bft. aus ONO, der optimale Kurs von Gelting nach Sønderborg. Wenn wir so weiter fahren sind wir in zwei Stunden drüben. Wahnsinn.
So was haben wir noch nie erlebt, meilenweit auf einem Bug. Als wir „E1“, unseren Wegepunkt der Entscheidung erreichen, brauchen wir nichts entscheiden, besser kann’s gar nicht laufen. Dänemark wir kommen. Segeln ist wirklich ein Genuss. Klar erwischt uns hin und wieder auch eine Welle und wir werden nass, aber das macht doch richtig Spaß. Nach zwei Meilen haben wir den Leuchtturm Kalkgrund an Steuerbord und danach segeln wir bereits in dänischen Gewässern. Kurz darauf passieren wir die Untiefentonnen von Middelgrund und erreichen schon bald „E2“. Was für ein Tempo.
Vor uns liegt Sønderborg und die Dänen schicken extra einen Traditionssegler zu unserer Begrüßung. Das halten wir zwar für ein wenig überzogen, aber die haben sich noch mehr ausgedacht: Ohne „Prüfung“ lassen die Dänen keinen Neuen in ihre Bucht. Zwei Meilen vor der Küste dreht der Wind auf Nord und genau da wollen wir hin. Wir müssen kreuzen, doch der Wind lässt immer mehr nach. Schließlich ist es windstill – so wie gestern. Wir sehen bereits die Ansteuerungstonne, den Yachthafen, die Windmühle über der Stadt, aber wir machen keine Fahrt mehr. Andere Yachten bergen die Segel und motoren, doch das kommt für uns nicht in Frage, segeln ist doch schließlich Wassersport!
Kein Wind, der Himmel unverändert diesig und grau, was tut sich da? Ich blättere in Dieter Karnetzkis „Wolken und Wetter“, doch zu spät, plötzlich erwischt uns eine Böe wie aus dem Nichts. Von Null auf sechs Windstärken in wenigen Sekunden. Das Ziel zum Greifen nahe legt sich „flexibel“ sofort mächtig auf die Seite. Schiff und Besatzung sind erschrocken, die Fock muss runter, ist meine erste Reaktion und beim hektischen Einrollen der Fock schneide ich mir tief in den Finger, blute ziemlich heftig, aber so sind wir Helden, lassen uns nichts anmerken, bekommen die Situation erst einmal halbwegs in den Griff und dann wird gepflastert!
Wir arbeiten uns mühsam an Dänemark heran. Für diese letzte Meile benötigen wir fast eine Stunde, dann ist auch die dänische Aufnahmeprüfung bestanden. Aber was ist das für eine Böe, die sich wie eine Gewitterböe anfühlt, aber ohne Gewitter daher kommt? Nicht einmal geregnet hat es. Schon in Gelting hatte ich über das Wolkenbild nachgedacht, nur auf ein Gewitter ließ das bei meinem Kenntnisstand nicht schließen, sonst hätten wir lange vorher das WEITE gesucht. Das muss ich später mal in Ruhe nachlesen.
Diese strukturlosen und undefinierbaren Wolken erkenne ich erst im Lehrbuch als Stratus. Dazu schreibt Dieter Karnetzki u.a. „Wenn im Sommer Stratusbewölkung aufzieht, verbirgt sich dahinter meistens die Zufuhr von feuchter und zugleich sehr warmer Meeresluft. Dem Stratus wird Gewitter folgen“.
Davor hatte auch der Seewetterbericht gewarnt: Für die westliche Ostsee waren ja Ost-Nordost 5 und für Belte und Sund umlaufend 2 – 4 mit Gewitterböen vorhergesagt. Nicht richtig zugehört, Skipper?
Das Aufspüren freier Liegeplätze wird zur Routine. Der Abstand zwischen den Masten verrät bereits aus der Distanz einen freien Liegeplatz – und dann liegt da doch ein Motorboot! Aber in Sønderborg gibt es reichlich Platz und hier machen wir wieder gut fest. Wir sind ein eingespieltes Team geworden. Und nun unser „Lieblingsthema“: Die Duschen lassen sich weder mit dänischen Kronen noch mit € beeindrucken, das gelingt allein den Poletten. Poletten sind Duschmünzen und damit die dritte in allen dänischen Häfen anerkannte Währung. Poletten kann man mit Kronen oder € überall aus dem Automaten ziehen oder beim Hafenmeister wechseln. Die Dänen haben nahezu überall das gleiche System. Armes Deutschland. Trotzdem beschließen wir, die Körperpflege heute zu vernachlässigen, zumal die dänische Prüfung ja bereits bestanden ist.
Aber Sønderborg wollen wir sehen und zum Landgang, nehmen wir viel Zeit und einen Regenschirm mit, es kann jeden Moment regnen. Wir nehmen die Strandpromenade in die Stadt. „Hier guck mal, weißt Du was Liebe ist?“, fragt uns ein dänisches Liebespaar zunächst auf dänisch und als wir nicht reagieren, locker auf deutsch und dabei zeigen sie auf zwei Entenküken, die am Fuß der Kaimauer schnäbelnd auf einem Stein miteinander kuscheln. „Liebe zwischen Kindern und dann noch Geschwister?“, antwortete ich. Lautes Lachen folgt und dann kuscheln wir uns unter den Regenschirm.
Wir wissen nicht, wie die Entenküken das tropische Gewitter überstanden haben, einige Minuten später stürzt jedenfalls die Regenmenge eines halben Jahres auf Sønderborg herab. Jetzt draußen auf dem Wasser? Wir retten uns durch den Park in einen Hauseingang und schließlich in ein Cafe direkt am Hafen. Hier sitzen wir warm und trocken, essen, und genießen den ersten warmen Regen unseres Urlaubs. Was haben wir bisher für ein Glück mit dem Wetter gehabt. Später fotografieren wir von der Klappbrücke aus, durch die wir im letzten Jahr noch als Segelschüler gefahren sind, den Hafen, um schließlich einen Bummel durch die Stadt zu unternehmen. Wir entdecken in der klaren Luft nach einem Gewitter die Fußgängerzone ohne Fußgänger und erreichen wieder die Strandpromenade mit Kurs auf den Yachthafen. Am Strand wird im historischen Vikings Club schon wieder nackt gebadet: Rechts die Umkleide für Männer, links für Frauen; diese Trennung wird auch im Wasser strikt eingehalten, einfach sønderbar. Als wir am Ende unseres Landgangs im Hafen den kleinen Lebensmittelladen entdecken, an dem wir morgen die Brötchen für’s Frühstück kaufen werden, können wir wunderbar einschlafen.
Wochentag
Mittwoch | Datum
28. August | Hafen
Sønderborg | Barometer
1015 hPc – 1 hPc!!! |
Wind aus/Beaufort
0 - 4 aus Nord | Temperatur
28 o | Wolken
Fast wolkenlos | Wetter
Traumwetter |
Auslaufen Sønderborg
12.00 Uhr | Logge beim Auslaufen
1896,9 sm | Festmachen Glücksburg 20.00 Uhr | Gesegelte Meilen
15,6 sm |
Der Seewetterbericht kündigt für heute Nord bis Nordwest, zwei bis vier Bft. sowie Frühnebel an. Da wir gut und lange geschlafen haben, liegt der Frühnebel wohl schon hinter uns. Um 10 Uhr ist davon jedenfalls nichts mehr übrig. Nur der Morgentau liegt noch auf den Booten und muss vor dem Frühstück weg gewischt werden – eine seit Brodersby vertraute morgendliche Übung.
Heute wollen wir an der deutsch/dänischen Grenze entlang segeln. Zwar erklären wir Flens-burg zum Tagesziel, da es unterwegs genügend Häfen gibt, darf es ruhig ein bisschen weniger sein. Marina-Minde, Egernsund von mir aus oder Glücksburg, da ist es bestimmt auch ganz schön. Also wird das GPS mit Wegepunkten gefüttert, damit wir ja nicht vom Kurs abkommen. Allerdings nehme ich die erste Kurskorrektur bereits vor der Hafenausfahrt vor, denn von der ersten Begegnung mit einem 5.000 Tonnen Frachter bin ich so beeindruckt, dass ich die geplante Hafenrundfahrt durch den Stadthafen von Sønderborg schlichtweg vergesse, aber zurück wollen wir jetzt auch nicht mehr.
Die erste Begegnung mit der eigenen seemännischen Vergangenheit auf ungleicher Augenhöhe, beschäftigt mich sehr, denn in Gedanken bin ich bei der Deckscrew auf dem Frachter. Da oben werden jetzt die Festmacher aufgeschossen und das Schiff weiter seeklar gemacht. Wahrscheinlich geht die Deckscrew gleich zum Essen in die Messe und dann teilt der Bootsmann die Arbeit für den Nachmittag ein. Noch lange schaue ich dem Dampfer hinterher... wohin geht Kapitän diese Reise? Kiel-Kanal, Hamburg, Rotterdam, Antwerpen und dann? Vor der Biscaya liegt ein Hochdruckgebiet, weiß ich noch aus dem Wetterbericht von heute Morgen.
Als die Segel und wir auf Kurs sind beginnt das süße Bordleben. Da wir vor dem wenigen Wind segeln, ist es an Deck nahezu windstill. Die Sonne heizt kräftig ein, die Fock schlägt solange in der leichten Dünung, bis wir sie endlich einrollen und dadurch eine Liegewiese auf dem Vorschiff einrichten können. Hier kann Sabine ihren begnadeten Körper in der Sonne baden und lesen, während ich mit dem GPS spiele und die wildesten Fantasien entwickele, warum der Wegepunkt 102, das ist die Untiefentonne vor Borreshoved, nicht auftaucht. Die müsste längst achteraus sein, doch im GPS ist und bleibt der Wegepunkt 1,8 Meilen voraus, aber das Fernglas findet die Tonne nicht. Schließlich fällt mir ein, dass die Dänen viele Tonnen aus Kostengründen eingespart haben, da sie nur noch für die Sportschifffahrt von Bedeutung sind. Diese gehört wohl dazu, gebe ich mich geschlagen, anstatt es mit einer Kreuzpeilung zu überprüfen.
Nach einer halben Stunde, wenig Fahrt und einem Sonnenbad löst mich Sabine am Ruder ab. Nun gehe ich mit Bernard Moitessier auf die Liegewiese. Zum Lesen habe ich „Der verschenkte Sieg“ dabei, einen Segelklassiker, den ich kurz vor dem Urlaub bei www.booklooker.de für 3,50 € gebraucht gekauft habe. Bei ebay taucht das vergriffene und nicht wieder aufgelegte Buch zwar immer wieder auf und geht meist für mehr als 50 € über den privaten Ladentisch – seit 2003 hat Delius Klasing den Klassiker wieder im Programm.
Was ist das? Sind da recht voraus etwa Stellnetze und an Backbord doch die Untiefentonne? Wenn das stimmt, müssen wir schleunigst die „Seite wechseln“ und die Tonne östlich umfahren! Das kriegen wir auch mit wenig Wasser unter dem Kiel und noch weniger Fahrt hin. Hier ist es bereits so flach, dass ich „flexibel“ schieben könnte. Als ich schließlich die Arbeitsfock gegen die größere Genua tausche nehmen wir mehr Fahrt auf. Bald sind wir auf dem Kiel-Flensburg-Weg und immer noch in einer reizvollen Landschaft unterwegs. Kleine Dörfer, Gehöfte, Bauernhöfe und Windmühlen inmitten einer hügeligen, hell-, dunkel- und immergrünen Landschaft – Schleswig-Hostein Meer umschlungen.
Vor Lanballigau hat der Wind überhaupt keine Lust und da hilft auch die Genua nicht mehr. So werden wir Flensburg heute jedenfalls nicht erreichen. Wir freunden uns mit Marina-Minde an, wenigstens bis dahin wollen wir segeln, aber den Motor lassen wir aus! Also dümpeln wir weiter vor uns hin. Später lese ich, dass hier 1980 bei dichtem Nebel die Kümos „Inger Klit“ und „Lina van Bargen“ kollidierten und die „Inger Klit“ sank. Das 57 m lange und 6 m breite Schiff liegt in der Nähe des Fahrwassers. Das Wrack steht aufrecht auf dem Grund, der Bug ist fast vollständig im Schlick versunken.
Ein paar Meilen weiter rutscht das ausgeklappte Schwert im viel zu flachen Wasser bei Bockholmwik über den Grund. Wir müssen einfach besser auf die Wassertiefe achten, versprechen wir uns gegenseitig. Zur Belohnung frischt der Wind wieder auf, kommt jetzt aus NNW und die frische polare Luft bringt eine spürbare Abkühlung im Gepäck mit. Als wir die Holnis Enge erreichen sind wir schon wieder bei vier Bft. und liefern uns ein fabelhaftes Rennen mit einer „Comfortina 35“. Mit der Genua lässt es sich aber auch comfortabel segeln, denn die Windfäden zeigen sehr genau wie das Segel steht. Hier bei Holnis wird die Außenförde zum Flaschenhals und droht sogar mit der bösen „Schwiegermutter“, so wird Tonne 6 von den einheimischen Seglern genannt. Soll heißen, man lässt die Schwiegermutter besser links liegen sonst sitzt man schnell auf Schiet oder rammt die großen Steine.
Inzwischen ist es 19.00 Uhr geworden und Sabine wird langsam ungeduldig. Marina-Minde oder Egernsund auf der dänischen Seite haben wir verworfen, weil wir unterwegs Ansichtskarten geschrieben haben, die unbedingt vor uns auf die Heimreise gehen sollen. Da bleiben also nur noch Schausende oder Glücksburg und dabei hat Sabine schon jetzt einen Riesenhunger. Wenn sie nicht gleich etwas zu essen bekommt, wird sie ungenießbar, steht der ganze schöne Tag auf dem Spiel. Andererseits ist ihr Windstärke vier jetzt entschieden zu viel, „... da kann ich nicht einmal in Ruhe den Salat zupfen“, meckert sie, als wir das kleine Sperrgebiet bei Schausende an Backbord lassen.
Also Glücksburg. Da müssen wir rein, „peile“ ich durch das Fernglas die Hafeneinfahrt, während auf der Förde die ersten Lichter gesetzt werden. Ebenfalls da rein will ein ganzes Regattafeld, das aus der Gegenrichtung auf den Hafen zusteuert. Einige Fahrtenyachten kommen noch dazu und bei dem Gewimmel streichen wir lieber rechtzeitig die Segel und setzen auf den letzten Metern auf den Außenborder. Nur lässt sich im Glücksburger Yacht-hafen kein freier Stegplatz finden. Wir klappern jeden Winkel ab, aber eine freie Box kommt einfach nicht in Sicht, bis uns ein anderer Segler auf einen Ponton aufmerksam macht, „... da könnt’er fest machen“. Einen besseren Platz können wir uns gar nicht wünschen. Um 20 Uhr sind wir fest und genießen den schönsten Liegeplatz der Welt. Glück gehabt. In dieser lauschigen Ecke erleben wir den Sonnenuntergang, sehen das faszinierende Anlege-manöver einer großen Yacht, die mit einem schwungvollen Manöver unter Segeln bis in die Box rauscht. So möchte ich das auch einmal beherrschen. Später steigen Taucher in die Ostsee und sorgen für eine maritime Lightshow. Ein Strandspaziergang schließt diesen wunderbaren Segeltag mit einem Besuch der berühmten Hanseatischen Yachtschule ab.
Da wir heute nur bis Flensburg segeln wollen, lassen wir uns für die Körperpflege richtig Zeit. Weder Poletten, Kronen, Duschmünzen, Geheimnummern, Cent oder €, noch ein eingebauter Zeitschalter lassen uns eingeseift unter der kalten Dusche stehen. Dieser Hafen ist fünf Sterne wert, allerdings mit der Einschränkung, dass in der Nachsaison für Gäste kaum Plätze zu kriegen sind. Außerdem liegt der Hafen nicht im Ort, sodass mich das Fahrrad des Hafenmeisters zu den Frühstücksbrötchen fährt. Ich kann es nicht oft genug sagen: Bis auf den Pistolenknaller in Arnis begegnen uns nur freundliche, hilfsbereite Menschen. Das trägt.
Die klare Luft beschert wunderbare Lichtverhältnisse und der besonders schöne Liegeplatz macht Lust, unser Boot in maritimer Umgebung zu fotografieren. Die Ochseninseln (Okseør), die gegenüber vor der dänischen Küste liegen, haben wir in der Abenddämmerung gar nicht wahrgenommen. Wie wir nachlesen, waren früher große Flächen Südjytlands von Wäldern bedeckt, so dass die Inseln wahrscheinlich als Viehweiden genutzt wurden; daher auch der Name. Heute sind eine kleine Werft und ein Restaurant beliebter Ansteuerungspunkt.
Wir bereiten uns ein wunderbares Frühstück und sind erstaunt, wie gut sich das Obst an Bord hält, denn davon essen wir jeden Tag reichlich. Aber die Vorräte gehen langsam zur Neige und nach dem Abwaschen schreiben wir eine ausführliche Einkaufsliste für Flensburg, da werden wir mitten in der Stadt fest machen.
Der Seewetterbericht erwartet für die westliche Ostsee 2 – 3 Bft. aus Nord, später auf Südwest drehend. Für Belte und Sund sind umlaufend 2 – 3, später Südwest 3 – 4 gemeldet, doch das gilt scheinbar nicht für Glücksburg, hier ist überhaupt kein Wind spürbar. Erst als wir auslaufen geht eine leichte Brise über die Förde, die dann aber rasch auffrischt, selten mit 3 viel öfter mit ruppigen Böen bis 5 Bft. aus Südwest daher kommt. Der Wind ist sehr wechselhaft, manchmal überlegen wir die Genua zu setzen, dann schmeißen wir bei Windstille bereits in Gedanken den Motor an und kurz danach krängt „flexibel“ in einer Böe bei 35o. Der Versuch, bei Moitessier weiter zu lesen wird immer wieder bestraft.
Vielleicht will der Wind auf die wunderbare Landschaft aufmerksam machen, hier sollte ich wirklich nicht lesen, erkenne ich die Signale. Wir kreuzen zwischen dem deutschen und dänischen Ufer hin und her, doch Flensburg kommt nicht näher. Nach der ersten Kreuz hat der Wind gedreht, sodass wir wieder vor der Hafeneinfahrt von Glücksburg stehen. Wir müssen voll gegenan und fürchten um 16.00 Uhr, dass die Läden bereits schließen, wenn wir endlich mal Flensburg erreichen. Später bergen wir schamlos die Segel und am Ende schiebt uns der Viertakter in eine andere Welt. Zunächst dominieren die Werft der Flensburger Schiffbau-Gesellschaft (FSG) an Steuerbord und die Kais an Backbord das Bild, doch dann öffnet sich die Förde wieder und eine blank geputzte Großstadt zeigt sich von ihrer Sonnenseite.
Vor sieben Jahren war ich das letzte Mal hier - mit dem Auto. Der Museumshafen machte schon damals auf sich aufmerksam und dahinter folgt die unverwechselbare Skyline der Fördestadt. Allerdings ist das Ostufer völlig umgekrempelt. Das war doch früher eine Hafen- und Industriebrache? Jetzt ist hier der Yachthafen, dazu Restaurants auf dem Wasser, aus denen uns die Menschen beim Festmachen zusehen. Es gibt so viele freie Plätze und wir haben Zeit, uns das Festmachen ganz leicht machen. Nein, zu den anderen kleinen Booten gehen wir nicht, am Steg der großen Yachten sind so viele freie Boxen und da legen wir ganz entspannt an. Als unser Anlegemanöver abgeschlossen ist, parken unsere 6,5 m neben einer 12 m Yacht; dieser Liegeplatz ist wohl doch eine Nummer zu groß. Das registriert beim Anmelden natürlich auch der Hafenmeister lächelnd, „…haben denn eure Achterleinen gereicht..?“
Na klar, zwischen den Stegen der kleineren Boote gibt es freie Liegeplätze und da hätten wir auch hingehört, doch mit unserem Wendekreis hatte ich keine Lust auf ein Manöver auf so engem Raum. Von unseren „großen“ Nachbarn erfahren wir, dass sie seit drei Monaten immer mit dem schönen Wetter unterwegs waren. Im Juni waren sie im Baltikum und haben dann die Rückreise über die schwedische Küste angetreten. So werden wir das auch mal machen, denken wir wohl beide, während die Nachbarin ihre 12 m Yacht in einen Wäscheständer verwandelt.
Laut ist es hier, so viele Menschen sind unterwegs und dass es Autos gibt haben wir fast vergessen. Wir liegen mitten in der Stadt. Wenn die Läden um 18.00 Uhr schließen, dann aber los. Doch die Stadt beruhigt uns und gibt uns bis 20 Uhr Zeit, schließlich haben wir Urlaub. So genießen wir Sonne und Eis auf dem Nordermarkt und erst danach kaufen wir in Ruhe Proviant für die nächsten Tage ein. Zurück an Bord widerstehen wir der heimischen Gastronomie und kochen selbst. Einen schöneren Essplatz als unsere Freiluftterrasse auf „flexibel“ kann ich mir in dieser Stadt gar nicht vorstellen, besseres Gulasch gibt es ganz bestimmt im Restaurant nebenan.
Nach dem Essen nehmen wir uns Zeit für Flensburg. Im Museumshafen lassen wir uns in eine andere Zeit zurück beamen. Damals war Flensburg Teil der dänischen Krone, impor-tierte Rum aus den Kolonien in der Karibik und Seeleute aus aller Welt vergnügten sich in den Gasthäusern und Bordellen am Hafen. Als wir in eine schummerige Gasse einbiegen, tauchen wir unverhofft noch tiefer in diese Welt. In manchen Fenstern räkeln sich Prosti-tuierte, die für die damalige Zeit viel zu spärlich bekleidet sind, auch wenn uns die Dänen hundert Jahre später ziemlich freizügig daher kamen (beim späteren Blick auf den Stadtplan lese ich, dass die schummerige Gasse „Herrenstall“ heißt). Offenbar ist dieser Teil von Flensburg so wenig Museum, wie unsere „flexibel“ zum Transport von Rum geeignet ist. Und da wir auch nichts geschmuggelt habe, müssen wir uns in dieser finsteren Gegend auch nicht fürchten „shanghait“ zu werden und uns auf irgendeinem Segler mit Kurs auf die Karibik wieder zu finden. Also, wer steht hier eigentlich unter Denkmalschutz?
Die klare Luft beschert wunderbare Lichtverhältnisse und der besonders schöne Liegeplatz macht Lust, unser Boot in maritimer Umgebung zu fotografieren. Die Ochseninseln (Okseør), die gegenüber vor der dänischen Küste liegen, haben wir in der Abenddämmerung gar nicht wahrgenommen. Wie wir nachlesen, waren früher große Flächen Südjytlands von Wäldern bedeckt, so dass die Inseln wahrscheinlich als Viehweiden genutzt wurden; daher auch der Name. Heute sind eine kleine Werft und ein Restaurant beliebter Ansteuerungspunkt.
Wir bereiten uns ein wunderbares Frühstück und sind erstaunt, wie gut sich das Obst an Bord hält, denn davon essen wir jeden Tag reichlich. Aber die Vorräte gehen langsam zur Neige und nach dem Abwaschen schreiben wir eine ausführliche Einkaufsliste für Flensburg, da werden wir mitten in der Stadt fest machen.
Der Seewetterbericht erwartet für die westliche Ostsee 2 – 3 Bft. aus Nord, später auf Südwest drehend. Für Belte und Sund sind umlaufend 2 – 3, später Südwest 3 – 4 gemeldet, doch das gilt scheinbar nicht für Glücksburg, hier ist überhaupt kein Wind spürbar. Erst als wir auslaufen geht eine leichte Brise über die Förde, die dann aber rasch auffrischt, selten mit 3 viel öfter mit ruppigen Böen bis 5 Bft. aus Südwest daher kommt. Der Wind ist sehr wechselhaft, manchmal überlegen wir die Genua zu setzen, dann schmeißen wir bei Windstille bereits in Gedanken den Motor an und kurz danach krängt „flexibel“ in einer Böe bei 35o. Der Versuch, bei Moitessier weiter zu lesen wird immer wieder bestraft.
Vielleicht will der Wind auf die wunderbare Landschaft aufmerksam machen, hier sollte ich wirklich nicht lesen, erkenne ich die Signale. Wir kreuzen zwischen dem deutschen und dänischen Ufer hin und her, doch Flensburg kommt nicht näher. Nach der ersten Kreuz hat der Wind gedreht, sodass wir wieder vor der Hafeneinfahrt von Glücksburg stehen. Wir müssen voll gegenan und fürchten um 16.00 Uhr, dass die Läden bereits schließen, wenn wir endlich mal Flensburg erreichen. Später bergen wir schamlos die Segel und am Ende schiebt uns der Viertakter in eine andere Welt. Zunächst dominieren die Werft der Flensburger Schiffbau-Gesellschaft (FSG) an Steuerbord und die Kais an Backbord das Bild, doch dann öffnet sich die Förde wieder und eine blank geputzte Großstadt zeigt sich von ihrer Sonnenseite.
Vor sieben Jahren war ich das letzte Mal hier - mit dem Auto. Der Museumshafen machte schon damals auf sich aufmerksam und dahinter folgt die unverwechselbare Skyline der Fördestadt. Allerdings ist das Ostufer völlig umgekrempelt. Das war doch früher eine Hafen- und Industriebrache? Jetzt ist hier der Yachthafen, dazu Restaurants auf dem Wasser, aus denen uns die Menschen beim Festmachen zusehen. Es gibt so viele freie Plätze und wir haben Zeit, uns das Festmachen ganz leicht machen. Nein, zu den anderen kleinen Booten gehen wir nicht, am Steg der großen Yachten sind so viele freie Boxen und da legen wir ganz entspannt an. Als unser Anlegemanöver abgeschlossen ist, parken unsere 6,5 m neben einer 12 m Yacht; dieser Liegeplatz ist wohl doch eine Nummer zu groß. Das registriert beim Anmelden natürlich auch der Hafenmeister lächelnd, „…haben denn eure Achterleinen gereicht..?“
Na klar, zwischen den Stegen der kleineren Boote gibt es freie Liegeplätze und da hätten wir auch hingehört, doch mit unserem Wendekreis hatte ich keine Lust auf ein Manöver auf so engem Raum. Von unseren „großen“ Nachbarn erfahren wir, dass sie seit drei Monaten immer mit dem schönen Wetter unterwegs waren. Im Juni waren sie im Baltikum und haben dann die Rückreise über die schwedische Küste angetreten. So werden wir das auch mal machen, denken wir wohl beide, während die Nachbarin ihre 12 m Yacht in einen Wäscheständer verwandelt.
Laut ist es hier, so viele Menschen sind unterwegs und dass es Autos gibt haben wir fast vergessen. Wir liegen mitten in der Stadt. Wenn die Läden um 18.00 Uhr schließen, dann aber los. Doch die Stadt beruhigt uns und gibt uns bis 20 Uhr Zeit, schließlich haben wir Urlaub. So genießen wir Sonne und Eis auf dem Nordermarkt und erst danach kaufen wir in Ruhe Proviant für die nächsten Tage ein. Zurück an Bord widerstehen wir der heimischen Gastronomie und kochen selbst. Einen schöneren Essplatz als unsere Freiluftterrasse auf „flexibel“ kann ich mir in dieser Stadt gar nicht vorstellen, besseres Gulasch gibt es ganz bestimmt im Restaurant nebenan.
Nach dem Essen nehmen wir uns Zeit für Flensburg. Im Museumshafen lassen wir uns in eine andere Zeit zurück beamen. Damals war Flensburg Teil der dänischen Krone, impor-tierte Rum aus den Kolonien in der Karibik und Seeleute aus aller Welt vergnügten sich in den Gasthäusern und Bordellen am Hafen. Als wir in eine schummerige Gasse einbiegen, tauchen wir unverhofft noch tiefer in diese Welt. In manchen Fenstern räkeln sich Prosti-tuierte, die für die damalige Zeit viel zu spärlich bekleidet sind, auch wenn uns die Dänen hundert Jahre später ziemlich freizügig daher kamen (beim späteren Blick auf den Stadtplan lese ich, dass die schummerige Gasse „Herrenstall“ heißt). Offenbar ist dieser Teil von Flensburg so wenig Museum, wie unsere „flexibel“ zum Transport von Rum geeignet ist. Und da wir auch nichts geschmuggelt habe, müssen wir uns in dieser finsteren Gegend auch nicht fürchten „shanghait“ zu werden und uns auf irgendeinem Segler mit Kurs auf die Karibik wieder zu finden. Also, wer steht hier eigentlich unter Denkmalschutz?
Die „Langstrecke“ von Flensburg bis Maasholm
Der Seewetterbericht kündigt für die kommenden Tage eine Wetterverschlechterung an. Über der westlichen Nordsee (Dogger) liegt ein Trog, morgen früh Ost schwenkend, doch für heute ist Südwest bis West 4 vorher gesagt, morgen sollen es 5 – 6 Windstärken werden. Damit sitzen wir ganz schön in der Klemme, denn wenn wir heute bis Gelting segeln, müssten wir morgen bei 5 – 6 Windstärken von Gelting über die Ostsee nach Schleimünde. Das ist aufgrund der Wellenentwicklung mit „flexibel“ nicht zu machen und unsere Seereise wäre damit bereits heute in Gelting zu Ende. Zudem müssten wir Auto und Trailer von Arnis nach Gelting bringen.
So haben wir uns den Abschluss unserer Reise nicht vorgestellt, beginnen wir über andere Möglichkeiten nachzudenken. Klar ist, dass der Seeweg immer über die Geltinger Bucht führt. Bis zu unserem, auf dem Weg nach Sønderborg, einmal gesetzten Punkt „E 1“ sind es 20 Meilen. Bei einer Wetterverschlechterung wären es von „E1“ bis Gelting, mit halbem Wind, noch 2,8 Meilen oder ca. 40 Minuten. Das ist bis 18.00 Uhr zu schaffen. Würde der Wind hingegen nicht zunehmen, gäbe es sogar eine Chance weiter nach Schleimünde zu kommen (+16 Meilen). Auf der Schlei könnten wir dann morgen, auch bei Windstärke 6, unter Motor bis Arnis fahren, weil sich hier kein starker Seegang aufbauen kann. In diesem Fall ginge unser Urlaub planmäßig am Sonntag zu Ende, aber nur in diesem Fall.
Während des Frühstücks kommen wir mit unserem Nachbarn auf der LM 27 in’s Gespräch und werden zur Bootsbesichtigung eingeladen. Der Skipper ist sehr nett und betont, dass alle Skipper stolz auf ihr Boot sind und es deshalb natürlich auch gern anderen zeigen. Sabine ist von diesem Motorsegler jedenfalls begeistert, obwohl die LM schon Wind braucht, um überhaupt in Gang zu kommen. Allerdings ist die dänische LM 27 für zwei Personen sehr komfortabel. „Kaufen Sie nie ein Boot, um andere mitzunehmen“, warnt uns der Skipper, „kaufen Sie es für sich. So oft werden andere Leute nicht mitsegeln.“ Das klingelt natürlich in meinen Ohren, aber nun fahren wir los, schließlich wollen wir noch tanken. Um 12.00 Uhr verlassen wir den Stadthafen und verholen zum Tanken in den Yachthafen.
Um 13.00 Uhr sind wir endlich draußen auf der Förde, setzen die Segel und lassen uns vom Südwestwind Richtung Holnis-Enge schieben. Aufgrund der eigenen Wetterprognose setzen wir die Arbeitsfock und nicht die Genua, denn die angekündigten max. 4 Bft. sind längst erreicht. Da wir vor dem Wind segeln, setze ich zur Baumsicherung erstmals einen Bullenstander, weil wir lange auf diesem Bug weiter segeln werden. Bereits um 14.00 Uhr passieren wir Glücksburg und die Ochseninseln. Je länger wir segeln, desto größer werden die Wellen, auf denen wir hin und wieder ins Surfen kommen. Der Wind hat inzwischen auf 5 Bft. zugenommen und „flexibel“ wird immer schneller. Die Logge zeigt 8 Knoten, aber das kann einfach nicht stimmen.
Da wir auf der Hinreise um jeden Meter kämpfen mussten, kann ich jetzt auf die Karte verzichten, die hat sich ins Gedächtnis eingeprägt. Das Sperrgebiet von Schausende und die Fahrwassertonnen der Holnis-Enge sind gespeichert. Ungewohnt ist der starke Druck auf der Pinne und in der Holnis-Enge haben wir einige Gegenkommer, sodass wir Ausweichmanöver fahren müssen. Manchmal fürchte ich, dass uns Wind und Welle aus dem Ruder werfen könnten. Da wir jetzt auf Halbwindkurs wechseln, wird das Steuern schwieriger und bedeutet noch mehr Krafteinsatz. Manche Böe legt uns stark auf die Seite, sodass ich schon fürchte, Gelting gar nicht erreichen zu können. Immer wieder fallen für zwei drei Minuten so heftige Böen ein, dass ein kontrolliertes Steuern nicht mehr möglich ist. Der Wind reisst mir die Pinne aus der Hand, „flexibel“ luvt an und schießt in den Wind. Danach flaut die Böe ebenso schnell wieder ab, ich kann abfallen und den alten Kurs wieder aufnehmen. Das alles bei strahlend blauem Himmel, mit ein paar Schönwetterwolken auf einer dahin fliegenden „flexibel“. An der Kimm taucht bereits der Leuchtturm von Kalkgrund auf und bald wird sich an Steuerbord die Geltinger Bucht öffnen. Schon wieder bringt uns eine Böe auf die schiefe Bahn. Alle 10 Minuten passiert so ein Ding. Was, wenn der Wind noch zunimmt?
„Da habt ihr zu viel Tuch oben gehabt“, erklärt uns Annemarie ein paar Monate später bei der Manuskriptkorrektur, „auch bei viel Wind lässt sich die Varianta ohne Krafteinsatz steuern. Das Boot war, mit dem schweren Außenborder und dem Urlaubsgepäck, schlecht getrimmt. Ihr hättet zum Ausgleich Gewicht ins Vorschiff bringen müssen“, lernen wir von der zweimaligen Weltumseglerin.
Langballigau könnten wir ohne Mühe erreichen und wären in Sicherheit, aber warum reffen wir nicht? Ja warum nehmen wir nicht mehr Tuch runter? Also nehmen wir zunächst die Fock weg und haben sofort erheblich mehr Ruhe im Schiff. Doch auch ohne Fock signalisiert die Logge weiterhin 7 Knoten Fahrt durchs Wasser - ein Höllentempo. Wenn wir so weiter segeln, könnten wir dann nicht sogar die Schlei erreichen? Allein schon der Gedanke wird durch die nächste Böe bestraft und „flexibel“ wieder unfreiwillig in den Wind gedreht. In diesen stürmischen Momenten bin ich am Ruder machtlos. Da noch andere Yachten unterwegs sind, gebe ich mir große Mühe ihren Kurs möglichst nicht zu kreuzen. Wir segeln auf einem schmalen Grat.
Um 15.40 Uhr haben wir Neukirchen querab an Steuerbord. Hat der Wind nachgelassen oder haben sich die Böen verabschiedet? Schon seit einer halben Stunde gab es keinen Dreher mehr, aber die Logge zeigt immer noch 7 Knoten. Wenn die Böen weiterhin ausbleiben, könnten wir vielleicht doch über die Ostsee in die Schlei segeln oder? Mir ist das zu riskant. Der Seewetterbericht hatte für Morgen 5 – 6 Windstärken vorhergesagt. Heute sollten es 4 Beaufort werden, doch wir sind längst bei 5, in Böen deutlich drüber. Aber wir koppeln die Möglichkeit natürlich durch. Von Kalkgrund bis Maasholm sind es 16 Seemeilen. Kalkgrund könnten wir um 17.00 Uhr passieren und würden dann voraussichtlich um 19.30 Uhr Maasholm erreichen, vorausgesetzt Wind und Wellen bleiben auf dem jetzigen Niveau - und wenn nicht?
An der Untiefentonne Neukirchengrund erwischt uns wieder eine Böe, die ich als „letzte Warnung“ interpretiere. Und trotzdem, kann es sein dass der Wind ein wenig nachgelassen hat und sich eher bei 4 als bei 5 Beaufort einpendelt? Es fühlt sich wirklich so an. Jetzt müssen wir uns für den sicheren kurzen Weg nach Gelting oder die vielleicht riskante Überfahrt nach Maasholm entscheiden, hier bei „E 1“. Bei der Entscheidungsfindung hilft der aktuelle Wetterbericht von 16.00 Uhr und der verspricht der westlichen Ostsee heute 4 und morgen 6 Beaufort. Mehr soll es heute nicht werden und so fühlt sich das inzwischen auch an. Welches Risiko gehen wir eigentlich ein? Da wir an der Küste südostwärts segeln, kann sich bei ablandigem Wind keine große Welle aufbauen. Kommt es doch zu Dicke können wir immer noch die Segel bergen und den Motor bemühen. Schutz gibt es unterwegs jedenfalls nicht, also, fahren wir weiter?
Wir fahren und die gemeinsame Entscheidung hat den Wind wohl beeindruckt, denn ihm geht nun doch ein wenig die Puste aus, sodass mich Sabine endlich an der Pinne ablösen kann. Zehn Minuten später zieht uns auch wieder die Fock über das inzwischen hellgrüne, flache Wasser von Kalkgrund. Punkt 17.00 Uhr erreichen wir mit dem Passieren der Tonne Kalkgrund Süd wieder tiefes dunkles Wasser. Es läuft optimal. Seit einer Stunde hat sich der Wind bei vier Windstärken eingependelt und auch die Böen, die hin und wieder noch einfallen, haben ihren Schrecken verloren. Wir sind auf Kurs. Den Leuchtturm von Kalkgrund haben wir im Kielwasser, während Falshöft bereits ohne Fernglas zu erkennen ist.
Die Ostseeküste ist wunderschön. Baumgruppen wechseln sich mit einer Wald- und Wiesenlandschaft ab. Die Küste ist sandig und die Seekarte verrät zahlreiche große Steine. Dann der Campingplatz und Badestrand direkt vor dem Leuchtturm von Falshöft. Vor vielen Jahren sind wir mit dem Fahrrad von Falshöft durch die Birk geradelt. Das heutige Natur-schutzgebiet ist 1821 durch Eindeichung des Großen Noores entstanden. Um das Wasser aus dem Noor zu schöpfen wurden zwei Mühlen errichtet, eine davon, die Mühle „Charlotte“ gilt heute als Wahrzeichen dieser Landschaft. Diese Fahrradtour war wirklich ein Geschenk. Damals stand unser Campingbully direkt unter dem Leuchtturm von Falshöft und heute, um 18.00 Uhr, liegt der Leuchtturm querab. Ich glaub’ das war im September 92 und es war schon ziemlich kalt. Gab es den Campingplatz schon damals?
Was macht der Wind? Der ist inzwischen bei 3 bis 4 Beaufort angekommen und hat auf SSW gedreht, wir sind auf Amwindkurs. „flexibel“ macht immer noch gutes Tempo, doch um 19.30 Uhr werden wir Maasholm nicht erreichen. Hauptsache es ist noch nicht dunkel, denn die Positionslaternen sind nicht montiert. Das lässt sich natürlich schnell nachholen und das Anschrauben dauert höchstens fünf Minuten. Der Küstenabschnitt zieht sich ganz schön in die Länge. Es wird langsam kühl auf dem Wasser. Der Fleecepullover wird gebraucht, ein Kissen kommt unter den Hintern, ein Oldtimer segelt vorbei, wir passieren Öhe, haben das Vogelschutzhaus an Steuerbord und erkennen die typische Baumgruppe auf der Landzunge vor Schleimünde. Dahinter endlich der Leuchtturm. Die Ansteuerungstonne Schlei liegt recht voraus, gleich haben wir es geschafft.
Vor der Ansteuerungstonne wird der Verkehr immer dichter. Segler, Fischer, Motorboote, die meisten wollen die Schlei aufwärts. Und natürlich brauchen wir jetzt Fotos. Der Leuchtturm muss mit drauf, mit „flexibel“ im Vordergrund und zufällig überholen wir in der Einfahrt sogar eine andere Varianta. Rolling home „flexibel“, das haben wir drei so gut gemacht, fällt die Spannung von uns ab. Jetzt fehlt nur noch das Rod Stewart mit seiner Band vor der „Giftbude“ in Schleimünde „I am sailing“ dudelt, aber da steht keine Band, obwohl ich sie genau höre, „...home again, cross the sea“. Was für ein Törn!
Mit dieser Hochstimmung wollen wir in die Schlei segeln, am besten bis Maasholm in die Box. Doch der Wind kommt inzwischen fast direkt von vorn, so hoch kommen wir einfach nicht, obwohl einige andere Yachten das gut schaffen. Also Segel runter und die letzte Meile unter Motor, am Tonnenstrich entlang nach Maasholm. In der Dämmerung werden die ersten Positionslaternen gesetzt, aber was ist in Maasholm los? Der ganze Hafen und viele, viele Yachten sind über die Toppen geflaggt. Das machen die doch nicht etwa ... für uns? Sogar im Fischereihafen liegen riesige und wunderschöne Yachten. Sind es 20, 30 oder noch mehr? Was ist hier los?
Freie Plätze Fehlanzeige. Scheinbar sind alle 400 Boxen besetzt. Überall liegen Yachten jenseits von 50 Fuß und sogar ein Dreimaster, doch darum kümmern wir uns später, schließlich ist es fast dunkel! Der Außenborder schiebt uns bis an den letzten Steg. Da hinten haben wir ja am letzten Sonntag auch einen Platz gefunden. Tatsächlich, derselbe Liegeplatz ist heute wieder frei. Vorsichtig steuere ich auf die Achterpfähle zu, aber wieder ist der Wendekreis zu groß, ich muss kurz zurück und wieder vorwärts geben. Einen kleinen Schub gibt der Motor noch, dann blockiert der Propeller, doch in diesem Moment erwischt Sabine den Pfahl und wir können uns an der Sorgleine in die Box ziehen. Das gelingt wunderbar. Naja, ein fast perfektes Anlegemanöver.
Als wir fest sind bemerke ich, dass der Propeller durch Wasserpflanzen blockiert ist und deshalb keinen Vortrieb mehr geben konnte. Also doch wieder eine Panne, aber wen interessiert das, denn heute sind wir unseren bisher längsten Törn gesegelt, gratulieren wir uns beim Ankommensschluck um 20.10 Uhr. Die Logge zeigt 28,3 sm, doch laut Seekarte sind wir 36 sm, also rund 67 km gesegelt. Da stimmt doch was nicht, denn während die Logge sieben oder acht Knoten anzeigte haben wir real einen Schnitt von knapp über fünf Knoten hingelegt. Das erklärt natürlich auch unsere späte Ankunftszeit, d.h. wir müssen beim Koppeln zukünftig 1/3 mehr Zeit berechnen. Die spinnt doch, die Logge.
Zum Kochen ist es längst zu spät, aber für die Kneipen vermutlich auch, folgert Sabine aus dem Blick auf den überfüllten Hafen. Da werden wir kaum eine Chance haben. Und so kommt es auch, Männer so weit das Auge reicht. Große, schlanke, dicke, dünne Männer, manche sprechen englisch Englisch, einige Pidgin Englisch. Manche Grüppchen tragen die gleichen Farben vor sich her, um sich als Segelcrew der wunderschönen Yachten zu outen. Wie wir unterwegs erfahren startet morgen eine inzwischen traditionelle Regatta von Schleimünde nach Ærøskøbing. Die Kneipen sind rappelvoll und selbst an den eilig aufge-stellten „Notsitzen“ nichts als Männer!
Erst das letzte und am weitesten vom Hafen entfernte Restaurant hat mit uns ein Einsehen. Während die segelnde Männercrew noch bezahlt, haben wir, zum Glück draußen auf der Terrasse, bereits den Tisch besetzt. Hier draußen herrscht in der Sommernacht eine ausgesprochen gute Sicht, während die Sichtweite im Restaurant weit unter 50 m liegt, weil einige Segler, wohl um ihren Wohlstand zu vernebeln, kräftig an der Zigarre ziehen. Aus den Fenstern dringt nicht nur dicke Luft in die Sommernacht sondern da drin ist es so laut, dass zeitgleich mindestens drei Skipper mit ihren Handys das Freiluftpublikum unterhalten. Nun wird es aber höchste Zeit für das Essen, denn eine hungrige Sabine ist in diesem Zustand solange ungenießbar bis endlich das Essen auf dem Tisch steht. Na und bei dieser Massen-abfertigung wird es wohl kaum kulinarische Köstlichkeiten geben, fürchtet Sabine, doch da hat sie sich gründlich getäuscht. Zwar klappt nicht alles so schnell, aber das Essen wird der krönende Abschluss eines wunderbaren Tages.
Auf dem Rückweg nehmen wir uns Zeit für einen Hafenspaziergang. Es ist unglaublich, wie viele Traumschiffe in Maasholm fest gemacht haben. Irgendwann fange ich an nach Unter-scheidungsmerkmalen zu suchen und zähle die Anzahl der Salinge. Drei Salingspaare sehe ich häufig, bei drei oder vier Booten sind es sogar vier. Sabine entdeckt tief unten in einer Segelyacht sogar einen Roulettetisch und andere Passanten tuscheln über irgendeinen Promi, doch Dieter Bohlen ist nirgends zu entdecken, obwohl mich auch das nicht gewundert hätte. Die Yachten liegen natürlich im Päckchen, die Crews kennen sich und immer noch kommen neue Männer hinzu und werden überschwänglich begrüßt. Eine Stimmung wie bei einem Klassentreffen. Doch leider gehören wir nicht zu dieser Klasse und drücken uns staunend die Nase am Schaufenster platt. Bald werden wir auch eingeschult – aber wohl eher in die 30 Fuß-Klasse.
Der Seewetterbericht kündigt für die kommenden Tage eine Wetterverschlechterung an. Über der westlichen Nordsee (Dogger) liegt ein Trog, morgen früh Ost schwenkend, doch für heute ist Südwest bis West 4 vorher gesagt, morgen sollen es 5 – 6 Windstärken werden. Damit sitzen wir ganz schön in der Klemme, denn wenn wir heute bis Gelting segeln, müssten wir morgen bei 5 – 6 Windstärken von Gelting über die Ostsee nach Schleimünde. Das ist aufgrund der Wellenentwicklung mit „flexibel“ nicht zu machen und unsere Seereise wäre damit bereits heute in Gelting zu Ende. Zudem müssten wir Auto und Trailer von Arnis nach Gelting bringen.
So haben wir uns den Abschluss unserer Reise nicht vorgestellt, beginnen wir über andere Möglichkeiten nachzudenken. Klar ist, dass der Seeweg immer über die Geltinger Bucht führt. Bis zu unserem, auf dem Weg nach Sønderborg, einmal gesetzten Punkt „E 1“ sind es 20 Meilen. Bei einer Wetterverschlechterung wären es von „E1“ bis Gelting, mit halbem Wind, noch 2,8 Meilen oder ca. 40 Minuten. Das ist bis 18.00 Uhr zu schaffen. Würde der Wind hingegen nicht zunehmen, gäbe es sogar eine Chance weiter nach Schleimünde zu kommen (+16 Meilen). Auf der Schlei könnten wir dann morgen, auch bei Windstärke 6, unter Motor bis Arnis fahren, weil sich hier kein starker Seegang aufbauen kann. In diesem Fall ginge unser Urlaub planmäßig am Sonntag zu Ende, aber nur in diesem Fall.
Während des Frühstücks kommen wir mit unserem Nachbarn auf der LM 27 in’s Gespräch und werden zur Bootsbesichtigung eingeladen. Der Skipper ist sehr nett und betont, dass alle Skipper stolz auf ihr Boot sind und es deshalb natürlich auch gern anderen zeigen. Sabine ist von diesem Motorsegler jedenfalls begeistert, obwohl die LM schon Wind braucht, um überhaupt in Gang zu kommen. Allerdings ist die dänische LM 27 für zwei Personen sehr komfortabel. „Kaufen Sie nie ein Boot, um andere mitzunehmen“, warnt uns der Skipper, „kaufen Sie es für sich. So oft werden andere Leute nicht mitsegeln.“ Das klingelt natürlich in meinen Ohren, aber nun fahren wir los, schließlich wollen wir noch tanken. Um 12.00 Uhr verlassen wir den Stadthafen und verholen zum Tanken in den Yachthafen.
Um 13.00 Uhr sind wir endlich draußen auf der Förde, setzen die Segel und lassen uns vom Südwestwind Richtung Holnis-Enge schieben. Aufgrund der eigenen Wetterprognose setzen wir die Arbeitsfock und nicht die Genua, denn die angekündigten max. 4 Bft. sind längst erreicht. Da wir vor dem Wind segeln, setze ich zur Baumsicherung erstmals einen Bullenstander, weil wir lange auf diesem Bug weiter segeln werden. Bereits um 14.00 Uhr passieren wir Glücksburg und die Ochseninseln. Je länger wir segeln, desto größer werden die Wellen, auf denen wir hin und wieder ins Surfen kommen. Der Wind hat inzwischen auf 5 Bft. zugenommen und „flexibel“ wird immer schneller. Die Logge zeigt 8 Knoten, aber das kann einfach nicht stimmen.
Da wir auf der Hinreise um jeden Meter kämpfen mussten, kann ich jetzt auf die Karte verzichten, die hat sich ins Gedächtnis eingeprägt. Das Sperrgebiet von Schausende und die Fahrwassertonnen der Holnis-Enge sind gespeichert. Ungewohnt ist der starke Druck auf der Pinne und in der Holnis-Enge haben wir einige Gegenkommer, sodass wir Ausweichmanöver fahren müssen. Manchmal fürchte ich, dass uns Wind und Welle aus dem Ruder werfen könnten. Da wir jetzt auf Halbwindkurs wechseln, wird das Steuern schwieriger und bedeutet noch mehr Krafteinsatz. Manche Böe legt uns stark auf die Seite, sodass ich schon fürchte, Gelting gar nicht erreichen zu können. Immer wieder fallen für zwei drei Minuten so heftige Böen ein, dass ein kontrolliertes Steuern nicht mehr möglich ist. Der Wind reisst mir die Pinne aus der Hand, „flexibel“ luvt an und schießt in den Wind. Danach flaut die Böe ebenso schnell wieder ab, ich kann abfallen und den alten Kurs wieder aufnehmen. Das alles bei strahlend blauem Himmel, mit ein paar Schönwetterwolken auf einer dahin fliegenden „flexibel“. An der Kimm taucht bereits der Leuchtturm von Kalkgrund auf und bald wird sich an Steuerbord die Geltinger Bucht öffnen. Schon wieder bringt uns eine Böe auf die schiefe Bahn. Alle 10 Minuten passiert so ein Ding. Was, wenn der Wind noch zunimmt?
„Da habt ihr zu viel Tuch oben gehabt“, erklärt uns Annemarie ein paar Monate später bei der Manuskriptkorrektur, „auch bei viel Wind lässt sich die Varianta ohne Krafteinsatz steuern. Das Boot war, mit dem schweren Außenborder und dem Urlaubsgepäck, schlecht getrimmt. Ihr hättet zum Ausgleich Gewicht ins Vorschiff bringen müssen“, lernen wir von der zweimaligen Weltumseglerin.
Langballigau könnten wir ohne Mühe erreichen und wären in Sicherheit, aber warum reffen wir nicht? Ja warum nehmen wir nicht mehr Tuch runter? Also nehmen wir zunächst die Fock weg und haben sofort erheblich mehr Ruhe im Schiff. Doch auch ohne Fock signalisiert die Logge weiterhin 7 Knoten Fahrt durchs Wasser - ein Höllentempo. Wenn wir so weiter segeln, könnten wir dann nicht sogar die Schlei erreichen? Allein schon der Gedanke wird durch die nächste Böe bestraft und „flexibel“ wieder unfreiwillig in den Wind gedreht. In diesen stürmischen Momenten bin ich am Ruder machtlos. Da noch andere Yachten unterwegs sind, gebe ich mir große Mühe ihren Kurs möglichst nicht zu kreuzen. Wir segeln auf einem schmalen Grat.
Um 15.40 Uhr haben wir Neukirchen querab an Steuerbord. Hat der Wind nachgelassen oder haben sich die Böen verabschiedet? Schon seit einer halben Stunde gab es keinen Dreher mehr, aber die Logge zeigt immer noch 7 Knoten. Wenn die Böen weiterhin ausbleiben, könnten wir vielleicht doch über die Ostsee in die Schlei segeln oder? Mir ist das zu riskant. Der Seewetterbericht hatte für Morgen 5 – 6 Windstärken vorhergesagt. Heute sollten es 4 Beaufort werden, doch wir sind längst bei 5, in Böen deutlich drüber. Aber wir koppeln die Möglichkeit natürlich durch. Von Kalkgrund bis Maasholm sind es 16 Seemeilen. Kalkgrund könnten wir um 17.00 Uhr passieren und würden dann voraussichtlich um 19.30 Uhr Maasholm erreichen, vorausgesetzt Wind und Wellen bleiben auf dem jetzigen Niveau - und wenn nicht?
An der Untiefentonne Neukirchengrund erwischt uns wieder eine Böe, die ich als „letzte Warnung“ interpretiere. Und trotzdem, kann es sein dass der Wind ein wenig nachgelassen hat und sich eher bei 4 als bei 5 Beaufort einpendelt? Es fühlt sich wirklich so an. Jetzt müssen wir uns für den sicheren kurzen Weg nach Gelting oder die vielleicht riskante Überfahrt nach Maasholm entscheiden, hier bei „E 1“. Bei der Entscheidungsfindung hilft der aktuelle Wetterbericht von 16.00 Uhr und der verspricht der westlichen Ostsee heute 4 und morgen 6 Beaufort. Mehr soll es heute nicht werden und so fühlt sich das inzwischen auch an. Welches Risiko gehen wir eigentlich ein? Da wir an der Küste südostwärts segeln, kann sich bei ablandigem Wind keine große Welle aufbauen. Kommt es doch zu Dicke können wir immer noch die Segel bergen und den Motor bemühen. Schutz gibt es unterwegs jedenfalls nicht, also, fahren wir weiter?
Wir fahren und die gemeinsame Entscheidung hat den Wind wohl beeindruckt, denn ihm geht nun doch ein wenig die Puste aus, sodass mich Sabine endlich an der Pinne ablösen kann. Zehn Minuten später zieht uns auch wieder die Fock über das inzwischen hellgrüne, flache Wasser von Kalkgrund. Punkt 17.00 Uhr erreichen wir mit dem Passieren der Tonne Kalkgrund Süd wieder tiefes dunkles Wasser. Es läuft optimal. Seit einer Stunde hat sich der Wind bei vier Windstärken eingependelt und auch die Böen, die hin und wieder noch einfallen, haben ihren Schrecken verloren. Wir sind auf Kurs. Den Leuchtturm von Kalkgrund haben wir im Kielwasser, während Falshöft bereits ohne Fernglas zu erkennen ist.
Die Ostseeküste ist wunderschön. Baumgruppen wechseln sich mit einer Wald- und Wiesenlandschaft ab. Die Küste ist sandig und die Seekarte verrät zahlreiche große Steine. Dann der Campingplatz und Badestrand direkt vor dem Leuchtturm von Falshöft. Vor vielen Jahren sind wir mit dem Fahrrad von Falshöft durch die Birk geradelt. Das heutige Natur-schutzgebiet ist 1821 durch Eindeichung des Großen Noores entstanden. Um das Wasser aus dem Noor zu schöpfen wurden zwei Mühlen errichtet, eine davon, die Mühle „Charlotte“ gilt heute als Wahrzeichen dieser Landschaft. Diese Fahrradtour war wirklich ein Geschenk. Damals stand unser Campingbully direkt unter dem Leuchtturm von Falshöft und heute, um 18.00 Uhr, liegt der Leuchtturm querab. Ich glaub’ das war im September 92 und es war schon ziemlich kalt. Gab es den Campingplatz schon damals?
Was macht der Wind? Der ist inzwischen bei 3 bis 4 Beaufort angekommen und hat auf SSW gedreht, wir sind auf Amwindkurs. „flexibel“ macht immer noch gutes Tempo, doch um 19.30 Uhr werden wir Maasholm nicht erreichen. Hauptsache es ist noch nicht dunkel, denn die Positionslaternen sind nicht montiert. Das lässt sich natürlich schnell nachholen und das Anschrauben dauert höchstens fünf Minuten. Der Küstenabschnitt zieht sich ganz schön in die Länge. Es wird langsam kühl auf dem Wasser. Der Fleecepullover wird gebraucht, ein Kissen kommt unter den Hintern, ein Oldtimer segelt vorbei, wir passieren Öhe, haben das Vogelschutzhaus an Steuerbord und erkennen die typische Baumgruppe auf der Landzunge vor Schleimünde. Dahinter endlich der Leuchtturm. Die Ansteuerungstonne Schlei liegt recht voraus, gleich haben wir es geschafft.
Vor der Ansteuerungstonne wird der Verkehr immer dichter. Segler, Fischer, Motorboote, die meisten wollen die Schlei aufwärts. Und natürlich brauchen wir jetzt Fotos. Der Leuchtturm muss mit drauf, mit „flexibel“ im Vordergrund und zufällig überholen wir in der Einfahrt sogar eine andere Varianta. Rolling home „flexibel“, das haben wir drei so gut gemacht, fällt die Spannung von uns ab. Jetzt fehlt nur noch das Rod Stewart mit seiner Band vor der „Giftbude“ in Schleimünde „I am sailing“ dudelt, aber da steht keine Band, obwohl ich sie genau höre, „...home again, cross the sea“. Was für ein Törn!
Mit dieser Hochstimmung wollen wir in die Schlei segeln, am besten bis Maasholm in die Box. Doch der Wind kommt inzwischen fast direkt von vorn, so hoch kommen wir einfach nicht, obwohl einige andere Yachten das gut schaffen. Also Segel runter und die letzte Meile unter Motor, am Tonnenstrich entlang nach Maasholm. In der Dämmerung werden die ersten Positionslaternen gesetzt, aber was ist in Maasholm los? Der ganze Hafen und viele, viele Yachten sind über die Toppen geflaggt. Das machen die doch nicht etwa ... für uns? Sogar im Fischereihafen liegen riesige und wunderschöne Yachten. Sind es 20, 30 oder noch mehr? Was ist hier los?
Freie Plätze Fehlanzeige. Scheinbar sind alle 400 Boxen besetzt. Überall liegen Yachten jenseits von 50 Fuß und sogar ein Dreimaster, doch darum kümmern wir uns später, schließlich ist es fast dunkel! Der Außenborder schiebt uns bis an den letzten Steg. Da hinten haben wir ja am letzten Sonntag auch einen Platz gefunden. Tatsächlich, derselbe Liegeplatz ist heute wieder frei. Vorsichtig steuere ich auf die Achterpfähle zu, aber wieder ist der Wendekreis zu groß, ich muss kurz zurück und wieder vorwärts geben. Einen kleinen Schub gibt der Motor noch, dann blockiert der Propeller, doch in diesem Moment erwischt Sabine den Pfahl und wir können uns an der Sorgleine in die Box ziehen. Das gelingt wunderbar. Naja, ein fast perfektes Anlegemanöver.
Als wir fest sind bemerke ich, dass der Propeller durch Wasserpflanzen blockiert ist und deshalb keinen Vortrieb mehr geben konnte. Also doch wieder eine Panne, aber wen interessiert das, denn heute sind wir unseren bisher längsten Törn gesegelt, gratulieren wir uns beim Ankommensschluck um 20.10 Uhr. Die Logge zeigt 28,3 sm, doch laut Seekarte sind wir 36 sm, also rund 67 km gesegelt. Da stimmt doch was nicht, denn während die Logge sieben oder acht Knoten anzeigte haben wir real einen Schnitt von knapp über fünf Knoten hingelegt. Das erklärt natürlich auch unsere späte Ankunftszeit, d.h. wir müssen beim Koppeln zukünftig 1/3 mehr Zeit berechnen. Die spinnt doch, die Logge.
Zum Kochen ist es längst zu spät, aber für die Kneipen vermutlich auch, folgert Sabine aus dem Blick auf den überfüllten Hafen. Da werden wir kaum eine Chance haben. Und so kommt es auch, Männer so weit das Auge reicht. Große, schlanke, dicke, dünne Männer, manche sprechen englisch Englisch, einige Pidgin Englisch. Manche Grüppchen tragen die gleichen Farben vor sich her, um sich als Segelcrew der wunderschönen Yachten zu outen. Wie wir unterwegs erfahren startet morgen eine inzwischen traditionelle Regatta von Schleimünde nach Ærøskøbing. Die Kneipen sind rappelvoll und selbst an den eilig aufge-stellten „Notsitzen“ nichts als Männer!
Erst das letzte und am weitesten vom Hafen entfernte Restaurant hat mit uns ein Einsehen. Während die segelnde Männercrew noch bezahlt, haben wir, zum Glück draußen auf der Terrasse, bereits den Tisch besetzt. Hier draußen herrscht in der Sommernacht eine ausgesprochen gute Sicht, während die Sichtweite im Restaurant weit unter 50 m liegt, weil einige Segler, wohl um ihren Wohlstand zu vernebeln, kräftig an der Zigarre ziehen. Aus den Fenstern dringt nicht nur dicke Luft in die Sommernacht sondern da drin ist es so laut, dass zeitgleich mindestens drei Skipper mit ihren Handys das Freiluftpublikum unterhalten. Nun wird es aber höchste Zeit für das Essen, denn eine hungrige Sabine ist in diesem Zustand solange ungenießbar bis endlich das Essen auf dem Tisch steht. Na und bei dieser Massen-abfertigung wird es wohl kaum kulinarische Köstlichkeiten geben, fürchtet Sabine, doch da hat sie sich gründlich getäuscht. Zwar klappt nicht alles so schnell, aber das Essen wird der krönende Abschluss eines wunderbaren Tages.
Auf dem Rückweg nehmen wir uns Zeit für einen Hafenspaziergang. Es ist unglaublich, wie viele Traumschiffe in Maasholm fest gemacht haben. Irgendwann fange ich an nach Unter-scheidungsmerkmalen zu suchen und zähle die Anzahl der Salinge. Drei Salingspaare sehe ich häufig, bei drei oder vier Booten sind es sogar vier. Sabine entdeckt tief unten in einer Segelyacht sogar einen Roulettetisch und andere Passanten tuscheln über irgendeinen Promi, doch Dieter Bohlen ist nirgends zu entdecken, obwohl mich auch das nicht gewundert hätte. Die Yachten liegen natürlich im Päckchen, die Crews kennen sich und immer noch kommen neue Männer hinzu und werden überschwänglich begrüßt. Eine Stimmung wie bei einem Klassentreffen. Doch leider gehören wir nicht zu dieser Klasse und drücken uns staunend die Nase am Schaufenster platt. Bald werden wir auch eingeschult – aber wohl eher in die 30 Fuß-Klasse.
Von Insel zu Insel - Maasholm und Arnis waren früher Inseln
Bereits in der Nacht bringt der Wind die Wanten, Stage und Fallen zum Singen. Wie vorhergesagt bläst es am Morgen mit Windstärke 6 aus Südwest. Jetzt da draußen mit unserem Boot? Beruhigt drehe ich mich noch einmal um, doch um acht Uhr stehen wir an der Hafenausfahrt und schauen den großen Yachten hinterher, die sich draußen vor Schlei-münde zum Start formieren. Von anderen Seglern erfahren wir dabei etwas über die Regatta. Peter Gast, ein Hamburger Reeder, hat vor einigen Jahren die Hamburger Banker zu einer Wettfahrt heraus gefordert. Aus dieser Wette hat sich, alle Jahre wieder, die größte privat organisierte Regatta entwickelt: Hanseatische Reeder gegen hanseatische Banker und da sind alle mit Rang, Namen und der entsprechenden Yacht dabei. Sogar hanseatische Spitzenpolitiker sind an Bord. Gesegelt wird von Schleimünde nach Ærøskøbing und bereits am Nachmittag wird es einen Empfang beim Bürgermeister von Ærøskøbing geben. Bei Südwest sechs brauchen die „Rennziegen“ unter den Yachten drei bis vier Stunden bis Ærø und mit dem Empfang ist das Klassentreffen am Samstagnachmittag schon wieder beendet.
So eilig haben wir es nicht, denn wir brauchen bis Arnis nur schleiaufwärts motoren und das sind 4,5 Meilen. Also noch genügend Zeit für eine ausführliche Dusche – in Maasholm ohne Zeitbegrenzung, für unser wunderbares Frühstück im Cockpit und dann werden wir so ablegen, dass wir genau zur Brückenöffnungszeit Kappeln passieren. Da der Südwestwind voll auf dem Heck steht, legen wir eine Vorleine auf den Achterpfahl, ziehen uns an der Sorgleine raus und lassen uns, ohne Motor, vom Wind um den Achterpfahl drehen. Danach schiebt uns der von Wasserpflanzen befreite Motor zur Hafenausfahrt. „Vor der Tür“ empfängt uns der Südwest, brechen die Wellen und die Gischt weht übers Wasser. Manchmal kommt Wasser über, aber im Cockpit sitzt man einigermaßen geschützt. Sabine hat vorsorglich ihr Ölzeug angezogen, aber mir ist es darin viel zu warm. Als wir das Hauptfahrwasser erreichen, fädeln wir uns in einen Bootskonvoi ein, denn natürlich will niemand vor der Drehbrücke warten und alle wissen, dass sie von Schleimünde bis Kappeln 40 – 45 Minuten benötigen. So kommen fast alle Boote zur selben Zeit hier vorbei.
Mit jedem Meter geraten wir mehr in die Landabdeckung, sodass Wind und Wellen versöhn-lichere Töne anschlagen. Trotzdem bleibt es schwer vorstellbar, dass es hier vor einer Woche nahezu windstill war. Inzwischen haben wir uns gut eingereiht und ich muss beim Steuern aufpassen, nicht zu sehr auf das vor uns fahrende Boot aufzulaufen. Aus dem bedeckten Himmel mogelt sich hin und wieder die Sonne durch und sofort wird es spürbar wärmer. Die drei reetgedeckten Häuser bei Rabelsund werden in diesem Licht zu richtigen Hinguckern. Mit dem Schwenk nach Süden und dem Blick auf Kappeln verändert sich die Schlei in einen großen „Strom“. Zwei Boote verlassen den Konvoi und machen in den ersten Yachtclubs von Kappeln fest, aber es gibt auch Überholer, sodass sich der Konvoi ein wenig auffächert.
Da hier das Ufer nicht mehr durch Bäume geschützt wird greift der Wind sofort wieder an, sodass ich die Geschwindigkeit erhöhen muss, um manövrierfähig zu bleiben. Hundert Meter weiter ist der Spuk schon wieder vorbei. Noch ist die Drehbrücke geschlossen, doch auf das Signal, Brücke gesperrt, scheint niemand zu achten, das Tempo zieht an, so als könnte man sich 100%ig darauf verlassen, dass sich auf die Sekunde genau, um Punkt 14.45 Uhr, die Brücke öffnen wird. Jetzt leuchtet das rote Licht, Öffnung wird vorbereitet, und tatsächlich die Brücke öffnet pünktlich.
Es wird immer enger, vor allen Dingen als an Steuerbord die „Schlei Princess“, das ist ein „Missisippi-Ausflugsdampfer“, ebenfalls ins Fahrwasser will und unser Verfolger andeutet, wir Kleinen sollten doch mal für sein großes Boot Platz machen. In einer solchen Situation wirst du in einem 6,50 m langen Boot noch kleiner, zumal uns im engen Fahrwasser nun die ersten Boote von der anderen Brückenseite entgegen kommen. Aber wir lassen uns nicht beeindrucken, schließlich sind wir Kurshalter, denke ich und erinnere mich an die Antwort auf eine SKS-Prüfungsfrage: „Jeder Verkehrsteilnehmer hat sich so zu verhalten, dass die Sicherheit und Leichtigkeit des Verkehrs gewährleistet ist.“ Dieser schlichte Satz hat mich schon damals beeindruckt, weil ich die Leichtigkeit des Verkehrs nicht mit einem 100.000 Tonnen Supertanker in Verbindung bringen konnte. Aber so ist es und wenn sich alle an die Regeln halten, geht es eben ganz leicht. Für den Drängler hinter mir und für den Kurshalter, das sind und bleiben wir. Basta.
Der Gegenverkehr auf der einen und die „Schlei Princess“ auf der anderen Seite zwingen unseren Verfolger, die Überholversuche aufzugeben und sich einzureihen. Wie an einer Perlenkette gezogen rauschen nun auch wir durch das von vielen Booten aufgewühlte Wasser der Brückenöffnung. Plötzlich geht alles so schnell und schon sind ca. 20 Yachten mit der „Schlei Princess“ durch und nach der neuen Brücke, die ja erst im Oktober in Betrieb gehen soll, fächert sich die Kette langsam wieder auf. Sofort setzen die ersten Boote ihre Segel, während andere Gas geben. Die „Schlei Princess“ rollt das Feld von hinten auf. Wir lassen uns ganz viel Zeit, schauen uns die Boote im Kappelner Museumshafen an und während Arnis in Sicht kommt lassen wir noch ein bisschen auf uns warten.
Als sich die Sonne endlich durchsetzt wird es auch Sabine in ihrem Ölzeug zu warm, doch hinter der Mittelmann Werft pfeift der Wind schon wieder über die ungeschützte Schlei. Weit voraus unser aufgelöster Konvoi, die Segler mit starker Krängung und die „Schlei Princess“ bereits im Mittelfeld. Alle Versuche, unsere Ankunft in der WSG-Arnis noch weiter hinaus zu zögern scheitern spätestens an Tonne 43. Hier zweigt eine schmale Fahrrinne in den Hafen der Wassersportgemeinschaft ab. Hier warten Auto und Trailer und hier schließt sich unser Kreis. Wir suchen einen Liegeplatz in der Nähe des Kranes und um 15.20 Uhr geht unsere erste Reise zu Ende. „flexibel“ hat uns nach 111 sm, wenn wir der Logge noch glauben wollen, sicher in den Hafen zurück gebracht.
Wenngleich auch bei diesem Anlegemanöver wieder eine Achterleine den Pfahl nur nach-träglich und mit Hilfe des Bootshakens erreicht, kann das nicht über unsere Lernschritte hinweg täuschen. Wir sind richtig stolz auf unsere ersten 110 Seemeilen und auf unser kleines Boot. Ein bisschen feierlich zaubert Sabine eine Flasche Pikkolo ins Cockpit. Damit bedanken wir uns bei Neptun, gratulieren uns gegenseitig und sind stolz auf den ersten selbständigen Törn. Bis auf ein paar kleine Ratscher haben wir die kleinen und größeren Abenteuer heil überstanden. Der Hafenmeister wird morgen früh „flexibel“ kranen, nachdem wir im voraus bezahlen. Was, 40 € kostet das Kranen? Wir sind platt, am Steinhuder Meer sind wir mit 25 € dabei.
Zwei Stunden später verholen wir von der Box an die Kranpier, damit wir früh aus dem Wasser kommen. Dann wird „flexibel“ auf das Kranen vorbereitet. Wir legen den Mast und nach einer Stunde ist das Boot klar, könnten wir unsere „flexibel“ auf den Trailer laden, aber noch haben wir Urlaub und nach der Arbeit folgt bekanntlich das Vergnügen. Der Besuch der „Schleiperle“ muss nachgeholt werden, dort wollen wir das Ende unserer ersten Reise feiern. Leider sind wir schon ein wenig spät dran und für den Blick über die Schlei ist es bereits zu dunkel. Tagsüber gibt es jedenfalls keinen besseren Platz an der Schlei.
Um die entgangene Aussicht nachzuholen kaufen wir aus dem hauseigenen Buchladen der „Schleiperle“ einen Bildband über Schlei und Flensburger Förde. Darin gehen wir noch einmal die Stationen unserer Reise durch und merken, dass wir nur einen Bruchteil dieser wunderbaren Gegend kennen gelernt haben (Angeln-Schwansen-Schlei, von Flensburg bis Schleswig, Verlag Decard AG Dörflingen, ISBN 3-905402-04-1). Auf dem Rückweg entdecke ich noch eine besondere Arnisser Adresse in der Langen Straße 65: Die Nautische Verlagsgesellschaft. Von hier aus werden die meisten Sportschiffer mit Seekarten versorgt. Unter www.nv-verlag.de gibt es aus Arnis alles rund um die Navigation – eine wirklich sehr empfehlenswerte homepage.
Am Sonntagmorgen nehmen wir auf der Terrasse der WSG-Arnis Abschied von der Schlei. Heute lassen wir uns verwöhnen und müssen uns lediglich um den Sonnenschirm kümmern. Während der beiden Reisewochen hat uns die Sonne wirklich verwöhnt, ob das auch in unserer letzten Urlaubswoche zuhause so bleiben wird? Eine Stunde später hängt „flexibel“ am Kran, die Ratschen der Spanngurte knarren, die Seilwinde rastet ein, das Boot steht fest und sicher auf dem Trailer. Alles hat geklappt. Ausgeschlafen, ausgeruht und gut erholt beginnt die Heimreise.
Am 9. August 02 segeln wir endlich wieder mal auf dem heimischen Maschsee. Für diesen ganz besonderen Tag hat uns die Segelschule Maschsee Nord einen „Flying Fish“ kostenlos zur Verfügung gestellt – unsere Lernjolle. Als wir ablegen strahlt das Wetter mit unserer guten Laune um die Wette. Vorsichtig rutschen wir aufs Wasser. Bloß nicht nass werden und auf gar keinen Fall dürfen wir kentern, wir würden uns bis auf die Knochen blamieren. Sabine sieht in ihrem maßgeschneiderten Hochzeitskleid wirklich bezaubernd aus und den Braut-strauß legt die hübsche Vorschoterin selbst bei der Wende nicht aus der Hand. Der Bräutigam an der Pinne, ebenfalls elegant und für seine Verhältnisse sündhaft teuer verkleidet, hat das Bootshaus bereits fest im Blick. Dort, zum Bootssteg, haben wir unsere Hochzeitsgäste eingeladen. Sie sollen dabei sein, wenn wir „in den Hafen der Ehe segeln“.
Was für ein Tag. Heute Morgen haben wir Segeleinsteiger unseren Heiratsantrag vom Steinhuder Meer standesamtlich eingelöst. Viele unserer Freunde haben nach der Trauung vor dem Standesamt gratuliert, der „KSD-Chor“ „My Way“ und andere Lieder veredelt und wenig später gab es einen maritimen Sektempfang an der Segelschule. Unsere SKS-Freunde verlangten uns öffentlich einige Knoten ab, bevor ich meine Frau „über die Schwelle“ des gecharterten Maschseedampfers hieven durfte. An Bord der „Europa“ nahmen wir für kurze Zeit gemeinsam das Steuer in die Hand, meine frisch angetraute Schwieger-mutter spielte Shanties auf dem Schifferklavier und jetzt am späten Nachmittag sind wir mit der Jolle unterwegs in den Hafen der Ehe.
Ca. 300 m vor dem symbolträchtigen Hafen traue ich meinen Augen nicht. An die 20 bunt verkleidete Kinder toben und johlen auf dem Steg herum. Heute ist unser Hochzeitstag und doch nicht Rosenmontag, schwant uns nichts Gutes. Das kann einfach nicht wahr sein, wie sollen wir da anlegen und wo sind unsere Gäste? Umdrehen? Nein, nein, noch ein bisschen dichter ran. „Guck mal am Stegkopf, das sind gar keine Kinder, dafür sind die viel zu groß“, erkennen wir beim näher kommen. „Das sind Piraten, die hab’n sich als Piraten verkleidet“, sind wir völlig aufgedreht. Ich öffne die Schot ein wenig, damit wir langsamer aufkommen. Dann falle ich probeweise ein bisschen ab und sofort reagieren die Piraten auf dem Steg mit Gejohle. Kein Zweifel, die meinen uns. Wenn wir in den Hafen der Ehe segeln wollen müssen wir wohl zuerst durch’s Fegefeuer. Eine andere Chance haben wir nicht. Tatsächlich, unsere Freunde haben tief in Fundus und Schminkkiste gegriffen, sogar eine Flüstertüte informiert die Gäste über unseren Kurs und hält die unbeteiligten Gäste in Schach. Diese Überraschung ist euch gelungen.
Jetzt erkennen wir die Piraten genau. Nein, nicht nur Jan und Claas und Hein und Pitt, auch viele Frauen kapern mit. Verwegene Gestalten allemal, sogar die Nachwuchskräfte sind dabei und die warten nur auf uns! So haben wir uns den Hafen* der Ehe nicht vorgestellt, aber nun können wir das Ende dieses kurzen Törns nicht mehr hinaus zögern und mit einem eleganten Aufschießer ergeben wir uns „freiwillig“ in die Hände der Piraten. Fast noch mit der Vorleine in der Hand wird meine Vorschoterin von einem einarmigen Banditen, dem anstelle der Hand ein Eisenhaken angewachsen ist, vom Boot gezerrt und sofort setzt ein Geschrei und Gebrüll ein. Die entführen ja meine Braut, wird mir schlagartig klar. Sabine wird mit ihrem Brautstrauß sanft in ein Ruderboot gedrängt, aber ihre verzweifelte Geste in meine Richtung schürt meinen Widerstand. Kampflos kriegt ihr die nicht! Inzwischen haben mich die finsteren Gestalten aus der Jolle auf den Steg gelassen, aber an diesen betrunkenen Schurken komme ich einfach nicht vorbei. Unter ihnen entdecke ich, ganz in meiner Nähe Frank, der das Boot zur Segelschule zurück segeln will. Frank ist also kein Pirat, aber ist er deshalb auf meiner Seite? Mal seh’n, vielleicht haben wir zu zweit eine Chance…
Ein Augenzwinkern und Frank hat verstanden. Er kommt ganz nah zu mir und plötzlich stoßen wir das Boot ab, springen in die Jolle und jagen das Ruderboot. Sofort entsetzliches Geschrei auf dem Steg, „...haltet sie!!!“, aber damit haben wir sie überrascht. Ein paar schnelle Wenden und wir haben das Ruderboot mit der gekaperten Braut vor uns. Als die Piraten die Verfolgung bemerken, drehen sie schnell ab und versuchen, sich mit hoher Schlagzahl an den Steg zu retten, während die johlende Meute eine für diesen Überfall gecoverte Variante von „Wir lagen vor Madagaskar“ anstimmt. Eine Zumutung.
Leider gewinnt das Ruderboot die Schlacht auf dem Wasser, weil wir zwischen den Stegen kaum Platz für Manöver haben, aber es war messerscharf. Auf dem Steg haben mich die Piraten sofort wieder in ihrer Gewalt und nur auf diesen Moment haben sie gewartet. „Was ich denn so bieten würde, um die Braut auszulösen“, werde ich immer wieder bedrängt, aber ich habe keine Idee was die von mir wollen. Mir fällt absolut nichts ein und die Minen meiner Bewacher werden finsterer, der Griff fester. Doch die Täter-Opfer-Beziehung gerät aus dem Gleichgewicht, als mir vorsichtig ein Tipp zugeflüstert wird, den ich lautstark wiederholen muss: „Frei Saufen und frei Fressen für alle und für euch da hinten auch“, nehme ich Kontakt zu den übrigen Hochzeitsgästen am Ufer auf. Ein Riesengejohle setzt daraufhin ein, zwei Nachwuchspiratinnen gehen vor Freude baden und ich darf meine Braut wieder in den Arm nehmen. Wir sind im Hafen der Ehe angekommen. Seglerherz, was willst Du mehr.
Am späten Abend beantwortet die sechsjährige Lara eine an die Gäste gestellte Quizfrage, wohin denn die Hochzeitsreise von Sabine und Ralf gehen soll, auf ihre Weise: „An die Schleier“ und dieses Segelrevier kennt wohl jeder – oder?
Was für ein Tag. Heute Morgen haben wir Segeleinsteiger unseren Heiratsantrag vom Steinhuder Meer standesamtlich eingelöst. Viele unserer Freunde haben nach der Trauung vor dem Standesamt gratuliert, der „KSD-Chor“ „My Way“ und andere Lieder veredelt und wenig später gab es einen maritimen Sektempfang an der Segelschule. Unsere SKS-Freunde verlangten uns öffentlich einige Knoten ab, bevor ich meine Frau „über die Schwelle“ des gecharterten Maschseedampfers hieven durfte. An Bord der „Europa“ nahmen wir für kurze Zeit gemeinsam das Steuer in die Hand, meine frisch angetraute Schwieger-mutter spielte Shanties auf dem Schifferklavier und jetzt am späten Nachmittag sind wir mit der Jolle unterwegs in den Hafen der Ehe.
Ca. 300 m vor dem symbolträchtigen Hafen traue ich meinen Augen nicht. An die 20 bunt verkleidete Kinder toben und johlen auf dem Steg herum. Heute ist unser Hochzeitstag und doch nicht Rosenmontag, schwant uns nichts Gutes. Das kann einfach nicht wahr sein, wie sollen wir da anlegen und wo sind unsere Gäste? Umdrehen? Nein, nein, noch ein bisschen dichter ran. „Guck mal am Stegkopf, das sind gar keine Kinder, dafür sind die viel zu groß“, erkennen wir beim näher kommen. „Das sind Piraten, die hab’n sich als Piraten verkleidet“, sind wir völlig aufgedreht. Ich öffne die Schot ein wenig, damit wir langsamer aufkommen. Dann falle ich probeweise ein bisschen ab und sofort reagieren die Piraten auf dem Steg mit Gejohle. Kein Zweifel, die meinen uns. Wenn wir in den Hafen der Ehe segeln wollen müssen wir wohl zuerst durch’s Fegefeuer. Eine andere Chance haben wir nicht. Tatsächlich, unsere Freunde haben tief in Fundus und Schminkkiste gegriffen, sogar eine Flüstertüte informiert die Gäste über unseren Kurs und hält die unbeteiligten Gäste in Schach. Diese Überraschung ist euch gelungen.
Jetzt erkennen wir die Piraten genau. Nein, nicht nur Jan und Claas und Hein und Pitt, auch viele Frauen kapern mit. Verwegene Gestalten allemal, sogar die Nachwuchskräfte sind dabei und die warten nur auf uns! So haben wir uns den Hafen* der Ehe nicht vorgestellt, aber nun können wir das Ende dieses kurzen Törns nicht mehr hinaus zögern und mit einem eleganten Aufschießer ergeben wir uns „freiwillig“ in die Hände der Piraten. Fast noch mit der Vorleine in der Hand wird meine Vorschoterin von einem einarmigen Banditen, dem anstelle der Hand ein Eisenhaken angewachsen ist, vom Boot gezerrt und sofort setzt ein Geschrei und Gebrüll ein. Die entführen ja meine Braut, wird mir schlagartig klar. Sabine wird mit ihrem Brautstrauß sanft in ein Ruderboot gedrängt, aber ihre verzweifelte Geste in meine Richtung schürt meinen Widerstand. Kampflos kriegt ihr die nicht! Inzwischen haben mich die finsteren Gestalten aus der Jolle auf den Steg gelassen, aber an diesen betrunkenen Schurken komme ich einfach nicht vorbei. Unter ihnen entdecke ich, ganz in meiner Nähe Frank, der das Boot zur Segelschule zurück segeln will. Frank ist also kein Pirat, aber ist er deshalb auf meiner Seite? Mal seh’n, vielleicht haben wir zu zweit eine Chance…
Ein Augenzwinkern und Frank hat verstanden. Er kommt ganz nah zu mir und plötzlich stoßen wir das Boot ab, springen in die Jolle und jagen das Ruderboot. Sofort entsetzliches Geschrei auf dem Steg, „...haltet sie!!!“, aber damit haben wir sie überrascht. Ein paar schnelle Wenden und wir haben das Ruderboot mit der gekaperten Braut vor uns. Als die Piraten die Verfolgung bemerken, drehen sie schnell ab und versuchen, sich mit hoher Schlagzahl an den Steg zu retten, während die johlende Meute eine für diesen Überfall gecoverte Variante von „Wir lagen vor Madagaskar“ anstimmt. Eine Zumutung.
Leider gewinnt das Ruderboot die Schlacht auf dem Wasser, weil wir zwischen den Stegen kaum Platz für Manöver haben, aber es war messerscharf. Auf dem Steg haben mich die Piraten sofort wieder in ihrer Gewalt und nur auf diesen Moment haben sie gewartet. „Was ich denn so bieten würde, um die Braut auszulösen“, werde ich immer wieder bedrängt, aber ich habe keine Idee was die von mir wollen. Mir fällt absolut nichts ein und die Minen meiner Bewacher werden finsterer, der Griff fester. Doch die Täter-Opfer-Beziehung gerät aus dem Gleichgewicht, als mir vorsichtig ein Tipp zugeflüstert wird, den ich lautstark wiederholen muss: „Frei Saufen und frei Fressen für alle und für euch da hinten auch“, nehme ich Kontakt zu den übrigen Hochzeitsgästen am Ufer auf. Ein Riesengejohle setzt daraufhin ein, zwei Nachwuchspiratinnen gehen vor Freude baden und ich darf meine Braut wieder in den Arm nehmen. Wir sind im Hafen der Ehe angekommen. Seglerherz, was willst Du mehr.
Am späten Abend beantwortet die sechsjährige Lara eine an die Gäste gestellte Quizfrage, wohin denn die Hochzeitsreise von Sabine und Ralf gehen soll, auf ihre Weise: „An die Schleier“ und dieses Segelrevier kennt wohl jeder – oder?
*Übrigens,…
„…wer in den Hafen der Ehe segeln will, sollte vorher eine Hafenrundfahrt machen“, gibt ein anonymer Fachberater im Internet einen hervorragenden Tipp. Warum sind wir seinem Rat nicht gefolgt?
Heute wird das 40jährige Clubjubiläum gefeiert. Für den Abend sind „Happy Jazz & Co“ angesagt, diverse Partyzelte aufgebaut und damit kündigt sich ein schönes sommerliches Fest an. Doch erst die Arbeit und dann das Vergnügen, also erst die Clubregatta und dann feiern. Diesmal tragen wir uns gleich in die richtige Liste ein und sind bei der Steuermanns-besprechung in der ersten Reihe. Bloß nichts verpassen. Der klassische Dreieckskurs wird angekündigt, d.h. die Bojen bleiben an Backbord. Der Start erfolgt auf Amwindkurs mit Ziel Boje eins. Nach passieren der ersten Boje folgt der Raumschotkurs zu Tonne zwei, dann schließt der Raumschotkurs auf dem anderen Bug zu Boje drei das Dreieck. Wieder auf Amwindkurs zu Boje eins und von dort vor dem Wind direkt zu Boje drei. Diese beiden „Runden“ werden wiederholt und kurz vor Boje eins ist das Ziel. Alles klar? Wir haben jedenfalls verstanden!
Bereits vom Steg aus sehen wir wie stark sich inzwischen die Wasserpflanzen überall ausbreiten. Die landseitigen Liegeplätze sind voll von „kanadischer Wasserpest“, die Boote müssen förmlich über’s „Gras“ geschoben werden. Bei unserer Probefahrt mit „flexibel“ hat Herr Schmude das Steinhuder Meer als Feuchtwiese bezeichnet, ob er diese Entwicklung geahnt hat? Wie es wohl erst draußen aussehen wird? Wir machen „flexibel“ regattaklar. Genua oder „Arbeitsfock“? Wir entscheiden uns für die Fock, weil der Amwindkurs mit der Genua kein winner werden kann. Außerdem werden wir das Schwert einsetzen, damit wir höher an den Wind kommen.
Vor der Startlinie herrscht viel Aufregung, ein Getümmel aus vielleicht 30 Booten und wir halsen und wenden mittendrin. Dann das Hupsignal, noch 5 Minuten bis zum Start und überall laufen jetzt die Stoppuhren mit. Das nächste Signal, nur noch eine Minute und an der Startlinie wird es immer enger. Jollen, Jollenkreuzer, Dickschiffe, mittendrin Optis und dann der Start. Wir kommen gut weg und sind mit rund 30 Booten auf der Kreuz. Schnell setzen sich die leichten Jollen ab, die Jollenkreuzer rauschen an uns vorbei, aber mit den Dickschiffen können wir gut mithalten.
Nach Boje eins kommen wir auf Raumschotkurs und überholen sogar zwei Boote; super! Danach, auf dem Steuerbordbug, werden wir jedoch gleich von denselben Booten wieder kassiert und nach Boje drei tauchen am Heck sogar Boote auf, die wir gar nicht auf unserer Rechnung haben. Dann kommt es zum Supergau, wir werden nach hinten durchgereicht und merken, „flexibel“ lässt sich zeitweise gar nicht präzise steuern. Wir haben Mühe auf der Kreuz durch den Wind zu kommen, haben Mühe auszuweichen und hier rauschen uns schon die ersten Jollen auf Vorwindkurs entgegen. Trotzdem, geben wir nicht auf, der olympische Gedanke treibt uns weiter, auch wenn wir immer weiter zurück fallen. Wo ist eigentlich Hagen mit seinem Schwertzugvogel geblieben?
Frust macht sich breit und schlechte Laune. Wir sind nicht einmal die halbe Strecke gesegelt, als die ersten Jollen bereits das Ziel erreichen. Was ist nur los? Wenig später kommt Kay Upleggers Sportina 600 auf Vorwindkurs immer näher. Wir müssen ausweichen, doch „flexibel“ reagiert nicht. Die Pinne liegt hart backbord und dennoch bleiben wir auf Kollisionskurs, schiebt „flexibel“ wie ein Tanker ungebremst weiter geradeaus. Sabine ist entsetzt und bei der Vorschoterin kommt richtig Panik auf. Ich rufe Kay Uplegger zu, dass wir nicht ausweichen können. Kay erkennt die Gefahr und versucht ein Ausweichmanöver. Da sich „flexibel“ nun wenigstens ein bisschen in den Wind bewegt rauschen wir Zentimeter aneinander vorbei. Das war knapp.
Immer mehr Boote erreichen das Ziel, während wir noch langsamer werden. Wir kämpfen uns mühsam durch die Wasserpestfelder, die unter Wasser scheinbar das ganze Regattafeld begrünen. Aus den Booten, die uns überrunden und die befürchten, von uns an der Tonne behindert zu werden, werden wir gefragt, „...hej, fahrt ihr auch Regatta?“ Klar, die haben uns vergessen. Stan Nadolny fällt mir ein und seine „Entdeckung der Langsamkeit“. Sollen wir aufgeben? Da kommt Klaus Roth auf, fragt, wie viele Runden er noch fahren muss und ist auch schon wieder vorbei. Zu allem Unglück kommt nun auch noch Pech hinzu. Demora-lisierend! Plötzlich hat Sabine die Idee: Mit dem Bootshaken beginnt sie, am Ruderblatt herum zu stochern und siehe da, wir schleppen bestimmt einen Anhänger voll Wasser-pflanzen hinter uns her. Das gibt’s doch gar nicht! Die Wasserpest hat das Schiff schwer gemacht, das Ruder blockiert und beinahe eine Kollision verursacht. Kein Wunder, mit 70 cm Tiefgang pflügen wir die Wiese!
Sofort nimmt „flexibel“ wieder Fahrt auf, lässt sich wieder steuern, wirkt wie befreit und jetzt rollen wir das Feld von hinten auf – wenn es überhaupt noch eins gibt. Wir passieren Boje drei, gehen auf Amwindkurs, - aber da ist gar keine Boje mehr, auch die Zieleinfahrt mit dem Motorboot ist verschwunden. Das kann nicht sein, auf dem Steinhuder Meer gibt es doch kein Bermuda Dreieck, in dem ganze Schiffe oder Zieleinläufe auf mysteriöse Weise verschwinden. Die haben uns wirklich vergessen? Ich erinnere mich an einen Japaner, der 40 Jahre nach dem Krieg nichts vom Kriegsende mit bekommen hatte. Aber hier tobt kein Krieg, das ist Wassersport, die dritte Clubregatta des SC Mardorf. Was haben wir gekämpft, geflucht, uns geärgert, sind am Ende des Feldes der Verzweiflung nahe, das können sich die Sieger gar nicht vorstellen und jetzt dürfen wir nicht einmal mehr ins Ziel.
Segler! Bei der Tour de France fährt immer ein „Lumpensammler“ hinterher, der die Renn-fahrer einsammelt, die völlig von der Rolle und jenseits jeder Zeit sind. Nicht einmal diese Demütigung wird uns gegönnt. Wir müssen ganz allein damit fertig werden. Haben wir uns in die richtige Liste eingetragen? Klar, haben wir und unsere Segelnummer ist auch noch dran! Hallo Begleitboot, hier, VA 1898, kann jeder lesen, auch die Wettfahrtleitung, aber wir sind mit unserem Schicksal doch nicht ganz allein, auch aus anderen Booten höre ich Protest. Diesen Booten ist genauso das Ziel genommen worden, nur wir hätten noch eine weitere Runde segeln müssen, stell Dir das mal vor. „Fiete will wohl eher duschen“, höre ich Kommentare. „Die hätten wenigstens ein Signal geben können“, ... wenigstens eins.
Am Steg empfängt uns Hagen, der mit seinem Kielzugvogel gleich in der ersten Runde ausgestiegen ist. Viele Boote haben die Regattabahn verlassen, weil sie mehr mit der Wasserpest, als mit der Regatta zu kämpfen hatten – nur wir haben das viel zu spät gemerkt, so viel hatten wir mit uns selbst zu tun. Wieder Lehrgeld? Nein, Erfahrung!
Erst die Regatta, dann das Vergnügen. Viele Segler sind inzwischen fertig zum Landgang und angemessen festlich für das 40. Clubjubiläum verkleidet, allen voran die frisch geduschte Wettfahrtleitung, bzw. der zielsichere 1. Vorsitzende. Überhaupt erscheint der gesamte Vorstand im Blazer, mit Clubkrawatten und „Fiete“ hält auch eine prima Rede, aber diesmal werfe ich vor Begeisterung kein Freibier um. „Happy Jazz & Co“ spielen u.a. mit „What a wonderful world“ eine prima Mucke runter und nach einer Weile weht der Mantel der Geschichte über dieser Regatta. Der Club feiert sein Clubjubiläum und gäbe es jetzt Wildschweinbraten, es wäre wie in dem berühmten kleinen Dorf in Gallien, wo manchmal ein Zaubertrank die Runde macht...
Und genau dieses oder wenigstens ein vergleichbares Getränk muss einigen Seglern aus dem berühmten kleinen Dorf so sehr die Zunge gelockert haben, dass sie alle verbalen Hemmungen über Bord werfen. Jedenfalls schimpfen sie wie die Rohrspatzen über die „Römer“ - damit ist in diesem Fall vermutlich die Bezirksregierung gemeint, „…die spinnen doch, die von der Bezirksregierung, soll’n se doch seh’n, wie se das Zeug da rauskriegen“!!! Wenig später wird daraus der konkrete Auftrag, der Beamte an sich möge doch bitte sofort und eigenhändig das Steinhuder Meer von der kanadischen Wasserpest befreien, „...und wenn ihr’s allein nicht schafft, muss am Wochenende eben die Familie mit ran“. Als Mitarbeiter des Öffentlichen Dienstes ist es jetzt wirklich ratsam, zu schweigen, sonst hätten vermutlich auch noch die nun wirklich unschuldigen Beamten und Angestellten der Stadtverwaltung mit anpacken müssen. Gerade so, als hätte diese beklagenswerte und von diesen gedopten Seglern bedrohte Spezies Mensch die „Wasserpest“ hier eingeschleppt.
Bereits vom Steg aus sehen wir wie stark sich inzwischen die Wasserpflanzen überall ausbreiten. Die landseitigen Liegeplätze sind voll von „kanadischer Wasserpest“, die Boote müssen förmlich über’s „Gras“ geschoben werden. Bei unserer Probefahrt mit „flexibel“ hat Herr Schmude das Steinhuder Meer als Feuchtwiese bezeichnet, ob er diese Entwicklung geahnt hat? Wie es wohl erst draußen aussehen wird? Wir machen „flexibel“ regattaklar. Genua oder „Arbeitsfock“? Wir entscheiden uns für die Fock, weil der Amwindkurs mit der Genua kein winner werden kann. Außerdem werden wir das Schwert einsetzen, damit wir höher an den Wind kommen.
Vor der Startlinie herrscht viel Aufregung, ein Getümmel aus vielleicht 30 Booten und wir halsen und wenden mittendrin. Dann das Hupsignal, noch 5 Minuten bis zum Start und überall laufen jetzt die Stoppuhren mit. Das nächste Signal, nur noch eine Minute und an der Startlinie wird es immer enger. Jollen, Jollenkreuzer, Dickschiffe, mittendrin Optis und dann der Start. Wir kommen gut weg und sind mit rund 30 Booten auf der Kreuz. Schnell setzen sich die leichten Jollen ab, die Jollenkreuzer rauschen an uns vorbei, aber mit den Dickschiffen können wir gut mithalten.
Nach Boje eins kommen wir auf Raumschotkurs und überholen sogar zwei Boote; super! Danach, auf dem Steuerbordbug, werden wir jedoch gleich von denselben Booten wieder kassiert und nach Boje drei tauchen am Heck sogar Boote auf, die wir gar nicht auf unserer Rechnung haben. Dann kommt es zum Supergau, wir werden nach hinten durchgereicht und merken, „flexibel“ lässt sich zeitweise gar nicht präzise steuern. Wir haben Mühe auf der Kreuz durch den Wind zu kommen, haben Mühe auszuweichen und hier rauschen uns schon die ersten Jollen auf Vorwindkurs entgegen. Trotzdem, geben wir nicht auf, der olympische Gedanke treibt uns weiter, auch wenn wir immer weiter zurück fallen. Wo ist eigentlich Hagen mit seinem Schwertzugvogel geblieben?
Frust macht sich breit und schlechte Laune. Wir sind nicht einmal die halbe Strecke gesegelt, als die ersten Jollen bereits das Ziel erreichen. Was ist nur los? Wenig später kommt Kay Upleggers Sportina 600 auf Vorwindkurs immer näher. Wir müssen ausweichen, doch „flexibel“ reagiert nicht. Die Pinne liegt hart backbord und dennoch bleiben wir auf Kollisionskurs, schiebt „flexibel“ wie ein Tanker ungebremst weiter geradeaus. Sabine ist entsetzt und bei der Vorschoterin kommt richtig Panik auf. Ich rufe Kay Uplegger zu, dass wir nicht ausweichen können. Kay erkennt die Gefahr und versucht ein Ausweichmanöver. Da sich „flexibel“ nun wenigstens ein bisschen in den Wind bewegt rauschen wir Zentimeter aneinander vorbei. Das war knapp.
Immer mehr Boote erreichen das Ziel, während wir noch langsamer werden. Wir kämpfen uns mühsam durch die Wasserpestfelder, die unter Wasser scheinbar das ganze Regattafeld begrünen. Aus den Booten, die uns überrunden und die befürchten, von uns an der Tonne behindert zu werden, werden wir gefragt, „...hej, fahrt ihr auch Regatta?“ Klar, die haben uns vergessen. Stan Nadolny fällt mir ein und seine „Entdeckung der Langsamkeit“. Sollen wir aufgeben? Da kommt Klaus Roth auf, fragt, wie viele Runden er noch fahren muss und ist auch schon wieder vorbei. Zu allem Unglück kommt nun auch noch Pech hinzu. Demora-lisierend! Plötzlich hat Sabine die Idee: Mit dem Bootshaken beginnt sie, am Ruderblatt herum zu stochern und siehe da, wir schleppen bestimmt einen Anhänger voll Wasser-pflanzen hinter uns her. Das gibt’s doch gar nicht! Die Wasserpest hat das Schiff schwer gemacht, das Ruder blockiert und beinahe eine Kollision verursacht. Kein Wunder, mit 70 cm Tiefgang pflügen wir die Wiese!
Sofort nimmt „flexibel“ wieder Fahrt auf, lässt sich wieder steuern, wirkt wie befreit und jetzt rollen wir das Feld von hinten auf – wenn es überhaupt noch eins gibt. Wir passieren Boje drei, gehen auf Amwindkurs, - aber da ist gar keine Boje mehr, auch die Zieleinfahrt mit dem Motorboot ist verschwunden. Das kann nicht sein, auf dem Steinhuder Meer gibt es doch kein Bermuda Dreieck, in dem ganze Schiffe oder Zieleinläufe auf mysteriöse Weise verschwinden. Die haben uns wirklich vergessen? Ich erinnere mich an einen Japaner, der 40 Jahre nach dem Krieg nichts vom Kriegsende mit bekommen hatte. Aber hier tobt kein Krieg, das ist Wassersport, die dritte Clubregatta des SC Mardorf. Was haben wir gekämpft, geflucht, uns geärgert, sind am Ende des Feldes der Verzweiflung nahe, das können sich die Sieger gar nicht vorstellen und jetzt dürfen wir nicht einmal mehr ins Ziel.
Segler! Bei der Tour de France fährt immer ein „Lumpensammler“ hinterher, der die Renn-fahrer einsammelt, die völlig von der Rolle und jenseits jeder Zeit sind. Nicht einmal diese Demütigung wird uns gegönnt. Wir müssen ganz allein damit fertig werden. Haben wir uns in die richtige Liste eingetragen? Klar, haben wir und unsere Segelnummer ist auch noch dran! Hallo Begleitboot, hier, VA 1898, kann jeder lesen, auch die Wettfahrtleitung, aber wir sind mit unserem Schicksal doch nicht ganz allein, auch aus anderen Booten höre ich Protest. Diesen Booten ist genauso das Ziel genommen worden, nur wir hätten noch eine weitere Runde segeln müssen, stell Dir das mal vor. „Fiete will wohl eher duschen“, höre ich Kommentare. „Die hätten wenigstens ein Signal geben können“, ... wenigstens eins.
Am Steg empfängt uns Hagen, der mit seinem Kielzugvogel gleich in der ersten Runde ausgestiegen ist. Viele Boote haben die Regattabahn verlassen, weil sie mehr mit der Wasserpest, als mit der Regatta zu kämpfen hatten – nur wir haben das viel zu spät gemerkt, so viel hatten wir mit uns selbst zu tun. Wieder Lehrgeld? Nein, Erfahrung!
Erst die Regatta, dann das Vergnügen. Viele Segler sind inzwischen fertig zum Landgang und angemessen festlich für das 40. Clubjubiläum verkleidet, allen voran die frisch geduschte Wettfahrtleitung, bzw. der zielsichere 1. Vorsitzende. Überhaupt erscheint der gesamte Vorstand im Blazer, mit Clubkrawatten und „Fiete“ hält auch eine prima Rede, aber diesmal werfe ich vor Begeisterung kein Freibier um. „Happy Jazz & Co“ spielen u.a. mit „What a wonderful world“ eine prima Mucke runter und nach einer Weile weht der Mantel der Geschichte über dieser Regatta. Der Club feiert sein Clubjubiläum und gäbe es jetzt Wildschweinbraten, es wäre wie in dem berühmten kleinen Dorf in Gallien, wo manchmal ein Zaubertrank die Runde macht...
Und genau dieses oder wenigstens ein vergleichbares Getränk muss einigen Seglern aus dem berühmten kleinen Dorf so sehr die Zunge gelockert haben, dass sie alle verbalen Hemmungen über Bord werfen. Jedenfalls schimpfen sie wie die Rohrspatzen über die „Römer“ - damit ist in diesem Fall vermutlich die Bezirksregierung gemeint, „…die spinnen doch, die von der Bezirksregierung, soll’n se doch seh’n, wie se das Zeug da rauskriegen“!!! Wenig später wird daraus der konkrete Auftrag, der Beamte an sich möge doch bitte sofort und eigenhändig das Steinhuder Meer von der kanadischen Wasserpest befreien, „...und wenn ihr’s allein nicht schafft, muss am Wochenende eben die Familie mit ran“. Als Mitarbeiter des Öffentlichen Dienstes ist es jetzt wirklich ratsam, zu schweigen, sonst hätten vermutlich auch noch die nun wirklich unschuldigen Beamten und Angestellten der Stadtverwaltung mit anpacken müssen. Gerade so, als hätte diese beklagenswerte und von diesen gedopten Seglern bedrohte Spezies Mensch die „Wasserpest“ hier eingeschleppt.
Mit besten Vorzeichen auf einen wunderschönen Segeltag kündigt sich dieser Sonntag an. Ein paar Schönwetterwolken und bereits um 10 Uhr an die 20 Grad und Wind, aber wo bleibt Martina, die sich für 10.30 Uhr angekündigt hat? Während wir, diesmal pünktlich und mit gepackter Segeltasche warten, kämpft Martina mit ihrem GPS im Auto, nachdem sie unseren Stadtteil Vinnhorst als Finnhorst eingegeben hat. Aber Hannover ist nun mal auch im GPS Hannover und damit kommt sie wieder auf Kurs.
Joachim und Gisela liegen mit ihrem Jollenkreuzer bereits startklar am Stegkopf. Die Sonne hat unsere Batterie wieder aufgeladen und schnell sind wir auch segelklar. Das vereinbarte Ziel ist die Postboje und das bedeutet Amwindkurs. Zunächst überlegen wir noch, die Genua zu setzen, doch damit kommen wir nicht hoch genug an den Wind. Hinzu kommt, dass viele Boote auf dem Wasser sind und die Genua die Sicht nach vorn stark einschränkt. Außerdem ist das die seltene Gelegenheit, „flexibel“ vom Wasser aus zu fotografieren, damit wir endlich Fotos „von unterwegs“ bekommen.
Wieder erleben wir, wie schnell der Jollenkreuzer von Gisela und Joachim ist, die inzwischen in der Nähe der Postboje ankern und dort warten, während wir ein paar Schläge mehr brauchen. Ok., „flexibel“ hat 70 und der Jollenkreuzer 17 cm Tiefgang. Da unsere Heirats-absichten inzwischen auch hier veröffentlicht sind, können wir verraten, dass wir nun an der Postboje festmachen und die Einladungen für unsere Hochzeitsfeier der Postboje und damit dem Segelclub Garbsen anvertrauen werden. Von der Postboje fallen wir danach langsam ab, halsen, machen Fender sowie die Vor- und Achterleine auf der Backbordseite klar und gehen bei Gisela und Joachim längsseits. Vorher habe ich lange überlegt, wie jedes Boot vor Anker und wir dennoch im Päckchen liegen können, doch Joachim winkt uns heran und nimmt mir die Entscheidung ab. Bei dem guten Untergrund reicht ein Anker für beide Boote. Gelernt ist gelernt.
Wenig später ist Sherrytime und das heißt, der erste Schluck für Neptun, der zweite gilt der Bekanntgabe unserer bevorstehenden Hochzeit. Ein dritter Schluck gilt Frank, der heute den zweiten Tag an Bord der „Noblesse“ auf SKS-Prüfungstörn ist und Michael, der über-raschend doch nicht mitsegeln konnte. Im Herbst werden wir hoffentlich auch über Franks Prüfungstörn ausführlich informiert, aber jetzt gibt’s dampfende Pellkartoffeln, Fisch und frisch gezuckerte Erdbeeren (eben noch von Gisela in Mardorf gekauft) und dänisches Faxe aus der Dose (etwa immer noch von der Nordwind?). Was noch? Ein Nickerchen nach dem Essen. Danach riskiert Joachim das erste Bad, Martina und Ralf halten Ankerwache und dabei handele ich mir gleich einen Sonnenbrand ein. Mehr geht wirklich nicht.
Übrigens, Mardorf...
war früher das Dorf direkt am Meer (Mari = stehendes Gewässer), bevor es im Zuge des 30jährigen Krieges verwüstet und ganz in der Nähe, auf einem schmalen Geestrücken, neu gesiedelt wurde. Mardorf war immer landwirtschaftlich geprägt, doch bereits 1896 begann Am Weißen Berg mit der Blockhütte eines Arztes die Wochenendbebauung.
Mardorf wurde, 1968 mit der Freigabe der Moorstraße nach Neustadt und der Fertigstellung der 4,5 km langen Uferpromenade 1970, touristisch stärker erschlossen. In den 60ziger und 70ziger Jahren gründen sich viele Segelclubs am Nordufer, darunter 1962 auch unser Segelclub Mardorf.
Heute leben 25% der 2.000 Einwohner vom Tourismus, während sich viele Bauern eine reichere Ernte von einem Golfplatz versprechen, für den sie einige Felder „hergegeben“ haben. Das charakteristische bäuerliche Dorfbild hat sich Mardorf erhalten und wer vom Tourismus lebt, verkauft auch am Sonntag Fisch und landwirtschaftliche Produkte. So kamen die soeben verzehrten Pellkartoffeln und Erdbeeren frisch auf den Cockpittisch.
Nach der langen Ruhepause beschließen wir zum Kaffeetrinken auf den Wilhemstein zu segeln. Martina wechselt jetzt auf den Jollenkreuzer, wir lösen die Achter- und die Vorleine und sind wieder unterwegs. Jetzt können wir vielleicht die größere Genua setzen, doch eine Böe krängt uns so stark, dass unter Deck ein Glas zerdeppert. Wir haben genug Tuch drauf! Beim Raumschotkurs fällt mir die Luvgierigkeit an der Pinne auf und da ich mit viel Kraft steuern muss, nehme ich damit auch viel Fahrt aus dem Schiff.
Schneller wären wir, wenn ich den Segeldruckpunkt nach vorn verlagern würde, d.h., entweder ein größeres Vorsegel setzen (dafür haben wir zu viel Wind) oder das Großsegel verkleinern, also reffen. Damit würde sich die Luvgierigkeit reduzieren, „flexibel“ ließe sich leichter steuern und wäre sogar schneller, steht jedenfalls im Lehrbuch.
Dass wir nichts davon tun liegt an der kurzen Distanz zum Wilhemstein, denn 10 Minuten später sind wir bereits an der Spundwand fest und Frau Schumann, immer noch ohne Schiffermütze, kassiert die Anlegegebühr beinahe schon vor dem Festmachen. Natürlich nicht bei uns, denn der fürstliche Aufkleber am Mast schützt sicher vor fiskalischen Raubzügen dieser Art.
Ein kleiner Rundgang bringt uns wieder auf die Beine und irgendwen aus der Großfamilie meiner Firma trifft man hier fast immer. Im Cafe gibt es sogar Kaffee zum Mitnehmen und schnell ist auf dem Rasen die Picknickdecke ausgebreitet, der „Tisch“ gedeckt, sodass wir uns Kaffee, Tee und die von Martina in Heimarbeit hergestellten Muffins schmecken lassen. Gibt es einen schöneren Platz zum Kaffee trinken? Danach wird gefachsimpelt und wir merken, dass längst nicht mehr alles aus dem SKS-Kurs auch in unseren Köpfen hängen geblieben ist. Gisela gibt Sabine wunderbare Tipps für unseren ersten längeren Törn und wir beschließen, zuerst ein Überzelt in eine „Kuchenbude“ umzunähen.
Der letzte Abschnitt unseres SKS-Törns führt uns vom Wilhemstein zurück an Steg N 37. Inzwischen hat der Wind nachgelassen und es zeichnet sich ein goldener Sonnenuntergang ab. Martina sitzt an der Pinne von „flexibel“ und wir sitzen gleich nach dem Festmachen auf der Terrasse unseres Segelclubs. Noch einmal lassen wir den wunderschönen Segeltag Revue passieren und vereinbaren einen neuen Termin für den 31. August. Dann sind Frank und Michael hoffentlich wieder mit dabei.
Joachim und Gisela liegen mit ihrem Jollenkreuzer bereits startklar am Stegkopf. Die Sonne hat unsere Batterie wieder aufgeladen und schnell sind wir auch segelklar. Das vereinbarte Ziel ist die Postboje und das bedeutet Amwindkurs. Zunächst überlegen wir noch, die Genua zu setzen, doch damit kommen wir nicht hoch genug an den Wind. Hinzu kommt, dass viele Boote auf dem Wasser sind und die Genua die Sicht nach vorn stark einschränkt. Außerdem ist das die seltene Gelegenheit, „flexibel“ vom Wasser aus zu fotografieren, damit wir endlich Fotos „von unterwegs“ bekommen.
Wieder erleben wir, wie schnell der Jollenkreuzer von Gisela und Joachim ist, die inzwischen in der Nähe der Postboje ankern und dort warten, während wir ein paar Schläge mehr brauchen. Ok., „flexibel“ hat 70 und der Jollenkreuzer 17 cm Tiefgang. Da unsere Heirats-absichten inzwischen auch hier veröffentlicht sind, können wir verraten, dass wir nun an der Postboje festmachen und die Einladungen für unsere Hochzeitsfeier der Postboje und damit dem Segelclub Garbsen anvertrauen werden. Von der Postboje fallen wir danach langsam ab, halsen, machen Fender sowie die Vor- und Achterleine auf der Backbordseite klar und gehen bei Gisela und Joachim längsseits. Vorher habe ich lange überlegt, wie jedes Boot vor Anker und wir dennoch im Päckchen liegen können, doch Joachim winkt uns heran und nimmt mir die Entscheidung ab. Bei dem guten Untergrund reicht ein Anker für beide Boote. Gelernt ist gelernt.
Wenig später ist Sherrytime und das heißt, der erste Schluck für Neptun, der zweite gilt der Bekanntgabe unserer bevorstehenden Hochzeit. Ein dritter Schluck gilt Frank, der heute den zweiten Tag an Bord der „Noblesse“ auf SKS-Prüfungstörn ist und Michael, der über-raschend doch nicht mitsegeln konnte. Im Herbst werden wir hoffentlich auch über Franks Prüfungstörn ausführlich informiert, aber jetzt gibt’s dampfende Pellkartoffeln, Fisch und frisch gezuckerte Erdbeeren (eben noch von Gisela in Mardorf gekauft) und dänisches Faxe aus der Dose (etwa immer noch von der Nordwind?). Was noch? Ein Nickerchen nach dem Essen. Danach riskiert Joachim das erste Bad, Martina und Ralf halten Ankerwache und dabei handele ich mir gleich einen Sonnenbrand ein. Mehr geht wirklich nicht.
Übrigens, Mardorf...
war früher das Dorf direkt am Meer (Mari = stehendes Gewässer), bevor es im Zuge des 30jährigen Krieges verwüstet und ganz in der Nähe, auf einem schmalen Geestrücken, neu gesiedelt wurde. Mardorf war immer landwirtschaftlich geprägt, doch bereits 1896 begann Am Weißen Berg mit der Blockhütte eines Arztes die Wochenendbebauung.
Mardorf wurde, 1968 mit der Freigabe der Moorstraße nach Neustadt und der Fertigstellung der 4,5 km langen Uferpromenade 1970, touristisch stärker erschlossen. In den 60ziger und 70ziger Jahren gründen sich viele Segelclubs am Nordufer, darunter 1962 auch unser Segelclub Mardorf.
Heute leben 25% der 2.000 Einwohner vom Tourismus, während sich viele Bauern eine reichere Ernte von einem Golfplatz versprechen, für den sie einige Felder „hergegeben“ haben. Das charakteristische bäuerliche Dorfbild hat sich Mardorf erhalten und wer vom Tourismus lebt, verkauft auch am Sonntag Fisch und landwirtschaftliche Produkte. So kamen die soeben verzehrten Pellkartoffeln und Erdbeeren frisch auf den Cockpittisch.
Nach der langen Ruhepause beschließen wir zum Kaffeetrinken auf den Wilhemstein zu segeln. Martina wechselt jetzt auf den Jollenkreuzer, wir lösen die Achter- und die Vorleine und sind wieder unterwegs. Jetzt können wir vielleicht die größere Genua setzen, doch eine Böe krängt uns so stark, dass unter Deck ein Glas zerdeppert. Wir haben genug Tuch drauf! Beim Raumschotkurs fällt mir die Luvgierigkeit an der Pinne auf und da ich mit viel Kraft steuern muss, nehme ich damit auch viel Fahrt aus dem Schiff.
Schneller wären wir, wenn ich den Segeldruckpunkt nach vorn verlagern würde, d.h., entweder ein größeres Vorsegel setzen (dafür haben wir zu viel Wind) oder das Großsegel verkleinern, also reffen. Damit würde sich die Luvgierigkeit reduzieren, „flexibel“ ließe sich leichter steuern und wäre sogar schneller, steht jedenfalls im Lehrbuch.
Dass wir nichts davon tun liegt an der kurzen Distanz zum Wilhemstein, denn 10 Minuten später sind wir bereits an der Spundwand fest und Frau Schumann, immer noch ohne Schiffermütze, kassiert die Anlegegebühr beinahe schon vor dem Festmachen. Natürlich nicht bei uns, denn der fürstliche Aufkleber am Mast schützt sicher vor fiskalischen Raubzügen dieser Art.
Ein kleiner Rundgang bringt uns wieder auf die Beine und irgendwen aus der Großfamilie meiner Firma trifft man hier fast immer. Im Cafe gibt es sogar Kaffee zum Mitnehmen und schnell ist auf dem Rasen die Picknickdecke ausgebreitet, der „Tisch“ gedeckt, sodass wir uns Kaffee, Tee und die von Martina in Heimarbeit hergestellten Muffins schmecken lassen. Gibt es einen schöneren Platz zum Kaffee trinken? Danach wird gefachsimpelt und wir merken, dass längst nicht mehr alles aus dem SKS-Kurs auch in unseren Köpfen hängen geblieben ist. Gisela gibt Sabine wunderbare Tipps für unseren ersten längeren Törn und wir beschließen, zuerst ein Überzelt in eine „Kuchenbude“ umzunähen.
Der letzte Abschnitt unseres SKS-Törns führt uns vom Wilhemstein zurück an Steg N 37. Inzwischen hat der Wind nachgelassen und es zeichnet sich ein goldener Sonnenuntergang ab. Martina sitzt an der Pinne von „flexibel“ und wir sitzen gleich nach dem Festmachen auf der Terrasse unseres Segelclubs. Noch einmal lassen wir den wunderschönen Segeltag Revue passieren und vereinbaren einen neuen Termin für den 31. August. Dann sind Frank und Michael hoffentlich wieder mit dabei.
Steg gerammt und beinahe Kleinholz
Wenn wir lossegeln hört Herr Scholz meist gerade auf. Und wie vor ein paar Tagen, so warnt er auch heute fürsorglich wieder vor einem Gewitter, außerdem würde der Luftdruck fallen. Herr Scholz weiß natürlich nicht, dass ich das Wetter inzwischen sehr genau beobachte und weder eine Gewitterwolke ausmachen kann, noch zeigt unsere wunderbare Wetterstation fallenden Luftdruck. Heute will Sabine die Segel setzen und uns auf’s Meer bringen.
Sabine setzt statt der üblichen „Arbeitsfock“ die viel größere Genua. Als Genua wird ein Vorsegel bezeichnet, das über den Mast hinaus nach achtern steht und eine Genua haben wir noch nie gesetzt. Der schwache Wind aus Südost kommt beim Auslaufen genau von vorn, sodass wir entscheiden, unter Motor auf’s Wasser zu gehen und erst hinter den Stegen die Segel zu setzen. Allerdings zieht uns der Motor nur im Schneckentempo raus, denn beim letzten Törn habe ich den Hauptschalter nicht abgeschaltet, sodass die Batterie ziemlich platt ist – warum eigentlich? Die Logge hat heute ebenfalls Null Bock und springt erst nach einer Meile an.
Mit Müh’ und Not erreichen wir freies Wasser und dann zieht uns die Genua auch bei leichtem Wind mit bis zu 6 Knoten durchs Wasser. Was für eine Entdeckung. Mit dieser Genua werden wir bei der nächsten Clubregatta natürlich für Furore sorgen. Allerdings ist die Sicht nach vorn eingeschränkt und man muss genau auf die anderen Boote achten – natürlich auch mit Wegerecht. Ein zweiter Nachteil: Auf Amwindkurs kommt man mit der Genua nicht so hoch an den Wind, dann ist die „Arbeitsfock“ besser.
Vor lauter Begeisterung fällt uns kein geeignetes Ziel ein, also segeln wir auf Probefahrt hin und her. Sabine genießt den leichten Wind und die trotzdem erreichte Geschwindigkeit, während ich genieße, dass Sabine ihre helle Freude am Segeln findet. Doch irgendwann verblasst die helle Freude und plötzlich will sie einfach nichts mehr tun, also übernehme ich wieder die Pinne. Ich bin total gespannt, wie es sich mit der Genua steuern lässt. Vor allen Dingen Raumschots haben wir nun „ordentlich was drauf“. Gern würde ich damit endlich einmal nach Hagenburg segeln, aber dazu ist es jetzt bereits zu spät.
Übrigens, in Hagenburg...
am Südufer des Steinhuder Meeres, hat der Fürst von Schaumburg Lippe ein wunderbares Schloss bauen lassen und durch einen Kanal mit dem Steinhuder Meer verbunden. Bei Gefahr konnte sich der Fürst mit seinem „Schnellboot“ auf den Wilhemstein in Sicherheit bringen. Den Kanal nutzten auch die ersten Segler für sich, die hier 1906 den ersten Segelclub am Steinhuder Meer gründeten. Der heutige Yachthafen liegt direkt an der Kanalmündung.
Hagenburg hat außerdem eine wunderschöne Backsteingotik-Kirche. Ein Findlingsgarten zeigt ganz schön „alte Schweden“ und der Moorgarten überzeugt durch die Artenvielfalt des Hoch- und Niedermoores.
Auf dem Heimweg segeln wir „Schmetterling“ bis knapp vor die Stege. Aber wie kommen wir ohne E-Motor, die Batterie ist ja wohl immer noch platt, in die Box? Na klar, wir halsen vor der Box, segeln einen Aufschießer an den Achterpfahl und ziehen uns dann an der Sorgleine rein. Dass Sabine nicht mehr steuern will, finde ich richtig prima, kann ich doch mal wieder zeigen, dass ich auch die nicht so ganz einfachen Manöver „locker“ hinkriege.
Als die Box in Sicht kommt bereite ich die Halse vor und komme mit dem Heck auch gut durch. Doch beim folgenden Aufschießer wird „flexibel“ nicht langsamer, sondern behält ihr Tempo und da kommt uns schon der Achterpfahl entgegen. Ich hab’ mich völlig verhau’n, merke ich, wir haben fast halben Wind und ziemliches Tempo. Was nun? Anluven geht nicht mehr, dann krachen wir unserem Nachbarn voll ins Heck. Sabine schreit von vorne, ich soll was machen, wir sind zu schnell, doch da rauschen wir schon mit halbem Wind in die Box und mit Karacho gegen den Steg. Das hat vielleicht gekracht, „flexibel“ stieg vorne richtig hoch. Im Bootssteg hat der Bug eine tiefe Kerbe hinterlassen und am Bug sind 30 cm Farbe abgeblättert. Sabine, die ja vorne gar nichts tun konnte, hat sich heftig erschrocken, während ich so viele Hände voll zu tun hatte und mich nicht erschrecken durfte.
Die wievielte peinliche Panne ist das eigentlich? Haben wir beim Lehrgeld überhaupt noch Kredit? Hoffentlich hat das niemand gesehen, ärgere ich mich heftig. Nur gut, dass wir wenigstens kein anderes Boot versenkt haben, „... wir können nur aus solchen Fehlern lernen“, tröstet Sabine.
Wenn wir lossegeln hört Herr Scholz meist gerade auf. Und wie vor ein paar Tagen, so warnt er auch heute fürsorglich wieder vor einem Gewitter, außerdem würde der Luftdruck fallen. Herr Scholz weiß natürlich nicht, dass ich das Wetter inzwischen sehr genau beobachte und weder eine Gewitterwolke ausmachen kann, noch zeigt unsere wunderbare Wetterstation fallenden Luftdruck. Heute will Sabine die Segel setzen und uns auf’s Meer bringen.
Sabine setzt statt der üblichen „Arbeitsfock“ die viel größere Genua. Als Genua wird ein Vorsegel bezeichnet, das über den Mast hinaus nach achtern steht und eine Genua haben wir noch nie gesetzt. Der schwache Wind aus Südost kommt beim Auslaufen genau von vorn, sodass wir entscheiden, unter Motor auf’s Wasser zu gehen und erst hinter den Stegen die Segel zu setzen. Allerdings zieht uns der Motor nur im Schneckentempo raus, denn beim letzten Törn habe ich den Hauptschalter nicht abgeschaltet, sodass die Batterie ziemlich platt ist – warum eigentlich? Die Logge hat heute ebenfalls Null Bock und springt erst nach einer Meile an.
Mit Müh’ und Not erreichen wir freies Wasser und dann zieht uns die Genua auch bei leichtem Wind mit bis zu 6 Knoten durchs Wasser. Was für eine Entdeckung. Mit dieser Genua werden wir bei der nächsten Clubregatta natürlich für Furore sorgen. Allerdings ist die Sicht nach vorn eingeschränkt und man muss genau auf die anderen Boote achten – natürlich auch mit Wegerecht. Ein zweiter Nachteil: Auf Amwindkurs kommt man mit der Genua nicht so hoch an den Wind, dann ist die „Arbeitsfock“ besser.
Vor lauter Begeisterung fällt uns kein geeignetes Ziel ein, also segeln wir auf Probefahrt hin und her. Sabine genießt den leichten Wind und die trotzdem erreichte Geschwindigkeit, während ich genieße, dass Sabine ihre helle Freude am Segeln findet. Doch irgendwann verblasst die helle Freude und plötzlich will sie einfach nichts mehr tun, also übernehme ich wieder die Pinne. Ich bin total gespannt, wie es sich mit der Genua steuern lässt. Vor allen Dingen Raumschots haben wir nun „ordentlich was drauf“. Gern würde ich damit endlich einmal nach Hagenburg segeln, aber dazu ist es jetzt bereits zu spät.
Übrigens, in Hagenburg...
am Südufer des Steinhuder Meeres, hat der Fürst von Schaumburg Lippe ein wunderbares Schloss bauen lassen und durch einen Kanal mit dem Steinhuder Meer verbunden. Bei Gefahr konnte sich der Fürst mit seinem „Schnellboot“ auf den Wilhemstein in Sicherheit bringen. Den Kanal nutzten auch die ersten Segler für sich, die hier 1906 den ersten Segelclub am Steinhuder Meer gründeten. Der heutige Yachthafen liegt direkt an der Kanalmündung.
Hagenburg hat außerdem eine wunderschöne Backsteingotik-Kirche. Ein Findlingsgarten zeigt ganz schön „alte Schweden“ und der Moorgarten überzeugt durch die Artenvielfalt des Hoch- und Niedermoores.
Auf dem Heimweg segeln wir „Schmetterling“ bis knapp vor die Stege. Aber wie kommen wir ohne E-Motor, die Batterie ist ja wohl immer noch platt, in die Box? Na klar, wir halsen vor der Box, segeln einen Aufschießer an den Achterpfahl und ziehen uns dann an der Sorgleine rein. Dass Sabine nicht mehr steuern will, finde ich richtig prima, kann ich doch mal wieder zeigen, dass ich auch die nicht so ganz einfachen Manöver „locker“ hinkriege.
Als die Box in Sicht kommt bereite ich die Halse vor und komme mit dem Heck auch gut durch. Doch beim folgenden Aufschießer wird „flexibel“ nicht langsamer, sondern behält ihr Tempo und da kommt uns schon der Achterpfahl entgegen. Ich hab’ mich völlig verhau’n, merke ich, wir haben fast halben Wind und ziemliches Tempo. Was nun? Anluven geht nicht mehr, dann krachen wir unserem Nachbarn voll ins Heck. Sabine schreit von vorne, ich soll was machen, wir sind zu schnell, doch da rauschen wir schon mit halbem Wind in die Box und mit Karacho gegen den Steg. Das hat vielleicht gekracht, „flexibel“ stieg vorne richtig hoch. Im Bootssteg hat der Bug eine tiefe Kerbe hinterlassen und am Bug sind 30 cm Farbe abgeblättert. Sabine, die ja vorne gar nichts tun konnte, hat sich heftig erschrocken, während ich so viele Hände voll zu tun hatte und mich nicht erschrecken durfte.
Die wievielte peinliche Panne ist das eigentlich? Haben wir beim Lehrgeld überhaupt noch Kredit? Hoffentlich hat das niemand gesehen, ärgere ich mich heftig. Nur gut, dass wir wenigstens kein anderes Boot versenkt haben, „... wir können nur aus solchen Fehlern lernen“, tröstet Sabine.
Fehlersuche:
Das Segeln vor dem Wind hat schwachen Wind vorgegaukelt, doch der wahre Wind war inzwischen auf 3 Bft. aufgefrischt. Nach der Halse sollte der Aufschießer folgen, doch Aufschießer nehmen, wie wir wissen, die Fahrt nur gegen die Windrichtung und nicht bei halbem Wind aus dem Boot. Während der zwei Bootslängen zum Achterpfahl beschleunigt „flexibel“ und die ungewohnte Genua bringt sogar mehr Speed – trotz loser Schoten. Zum Anluven war es zu spät. Die einzige Lücke war die Box, sonst hätte es richtig Bruch gegeben.
Alternativen:
Die (fast) leere Batterie hat uns beim Ablegen immerhin noch raus geschoben und inzwischen wurde die Batterie ein wenig aufgeladen. Ein kurzer Batteriecheck hätte diese Frage beantwortet und bei positivem Ausgang Variante 1.) ermöglicht.
1.) Aufschießer am Achterpfahl von Steg 36, Segel bergen und mit dem Motor in die Box.
2.) Draußen das Großsegel bergen und mit der Fock vor dem Wind in den Stegbereich. Rechtzeitig die Fock einrollen und mit der Restgeschwindigkeit unter Topp und Takel an den Achterpfahl, bzw. langsam in die Box - vorn den Kugelfender bereit halten.