„...warum eigentlich kein Schiff?"

Wer in der maritimen Welt noch ein wenig Orientierung braucht, öffnet vorher das Glossar (pdf 34 KB)

Während in Hannover bereits die ersten Drachen als farbenfrohe „Sehzeichen“ den grauen Herbsthimmel veredeln sind meine Lebensgefährtin Sabine und ich auf Korfu unterwegs. Auf abenteuerlichen Wegen am Wasser oder in den Bergen erleben wir wunderschöne Urlaubstage, genießen die Abende in den Tavernen der kleinen Häfen und an unserem Strand in Kalami. Die schattige Terrasse über der Bucht bietet einen traumhaften Blick auf die Meerenge zwischen Korfu und Albanien. Die Fähren von Patras und Igumenitsa Richtung Brindisi oder Venedig könnte ich locker schwimmend erreichen und nach Albanien rüber sind es gerade 2 km. In dieser „very quite“ Kalami Bay ankern immer wieder Segelyachten und es scheint so, als sei hier der Urlaub zuhause. Warum suchen wir uns nur jedes Jahr ein neues Urlaubsquartier? Hier ein kleines Ferienhaus, das wär’s doch. Stimmt, das wär’s!

Und dieses Ferienhaus finden wir gleich in der nächsten Bucht. Seit Jahren verfällt direkt am Strand eine verlassene Ölmühle. Auf dem Strand liegen ein paar Fischerboote, nebenan ein kleiner, geschützter Hafen, drei, vier versteckte Ferienhäuser den Berg hinauf, keine Straße geht hier durch und dieses Paradies hat einen Namen, Chouchoulio. Wir fotografieren, schreiten das Gebäude ab, skizzieren und fragen nach den Besitzern. Später wird auf der Urlaubsterrasse, mit Blick auf den Strand und einer vor Anker liegenden Yacht, entworfen, verworfen und gerechnet – bis unser Domizil steht. Am Ende passen sogar zwei Ferienhäuser in die alten Mauern, verbunden durch einen schattigen Innenhof. Ein Urlaubstraum, sage ich Ihnen, das hat uns gerade noch gefehlt.

Dann wieder Zweifel: „Wenn wir hier Zeit und Geld investieren, und von beidem haben wir eher zu wenig, werden wir immer wieder hierher kommen. Nein, das will ich nicht ... und wer versorgt das Haus, und bei Reparaturen? Ich nicht! Ich will hier Urlaub machen“, alles O-Ton Ralf.
 
Vielleicht geht in diesem Moment wieder eine Segelyacht in der Bucht von Kalami vor Anker. Vielleicht habe ich so intensiv und neugierig mit dem Fernglas gespannt, ob das nicht wieder so beneidenswerte „Arbeitsemigranten“ sind, die bereits jenseits von 50 Jahren, keinem Chef mehr dienen müssen. Sabine tritt dabei jedenfalls mit ihrer Bemerkung, „…warum eigentlich kein Schiff?“ eine Lawine los.

„Ein Schiff???“
„Mich wundert, dass du noch nie darüber nachgedacht hast“, höre ich klar und deutlich, „ein Schiff würde so gut zu dir passen!“
„Und zu dir?“
„Zu mir auch“.
„Ein Schiff..? aber Segel muss es haben, ungefähr so wie das da unten.“
„Wie das?“
„Genau so!“

Und genau so beginnt ein Traum, der eigentlich gar nicht in Erfüllung gehen kann. Wir haben keine Ahnung, was so ein Schiff kostet, aber 50.000 € ganz bestimmt. Und weil Geld im Traum keine Rolle spielt, wird der Wunsch zur Idee und die Idee verleiht Flügel. Ich erzähle meinen Freunden von diesem Traum, erzähle, dass ich bestimmt bald in die Altersteilzeit gehen, mit einem Segelschiff reisen und die Welt vom Wasser aus entdecken werde. Dann werde ich 57,5 Jahre alt sein und bis dahin haben wir 50.000 € zusammen. Für eine gebrauchte Yacht wird es jedenfalls reichen. Dann kannst du mitsegeln, machst bei uns auf der Yacht ein paar Wochen Urlaub und übrigens, voraussichtlich im Juni 2007 haben wir von Helsinki nach Stockholm noch zwei Plätze frei. Mit diesen leeren Versprechungen pusche ich mich selbst, wecke bei meinen Freunden ganz neue Erwartungen und setze mich selbst unter Druck. Das motiviert.
 

Kalami auf Korfu: Dieser alten Ölmühle am Strand der Nachbarbucht Koulura verdanke ich meine „Segelkarriere“.

„Der Kurs zum Erfolg“ beschreibt meinen Einstieg ins Segeln, einzelne Lernabschnitte und erste Törns, wie z.B.: Wie viel Zeit muss man eigentlich investieren?
 

Sportbootführerschein Binnen:

So viel Zeit sollten Sie sich für Theorie …

Unser Kurs umfasst sechs, im Winter, wenn die segelpraktische Ausbildung nicht damit verknüpft ist, sind es acht Abende. Jeder Kursabend setzt sich aus 2 x 90 Minuten incl. einer Pause zusammen. Aufgrund des umfangreichen Stoffes können nicht alle Themen im Kurs bearbeitet sondern müssen ergänzend und vertiefend zuhause bearbeitet werden.

Jeder hat sein individuelles Lerntempo und vielleicht fiel es gerade mir besonders schwer. Im Schnitt habe ich etwa jeden zweiten Tag zwei Stunden und an den Wochenenden insgesamt vier Stunden für den Kurs gelernt.

Die Prüfung besteht aus einer Auswahl aus rund 500 Fragen aus dem Lehrbuch! Wer sich die Fragebogen kauft, hat den Vorteil, in die Systematik der Fragebogen einzusteigen, kann sich testen und besser einschätzen was noch gelernt werden muss. Die Fragebogen haben mein „Heimstudium“ systematisiert und den zeitlichen Aufwand reduziert.

... und Segelpraxis nehmen.

Die Entscheidung für eine Saison- oder für eine Vierwochenkarte hängt von den Kenntnissen, der zur Verfügung stehenden Zeit und dem Beginn des Kurses ab. Im August wird niemand eine Saisonkarte kaufen.

Ideal, aber am teuersten ist natürlich die Saisonkarte. Wer sich Zeit lassen will oder als Berufstätige/r wenig freie Zeit hat, segelt damit am besten. Die Saisonkarte hat außerdem den Vorteil, dass man, z.B. aufgrund einer Schlechtwetterperiode, nicht unter Zeitdruck geraten kann und der Prüfungstermin nach Lernfortschritt selbst bestimmt wird. Wer nur am Wochenende oder nach Feierabend segeln kann braucht nun mal mehr Zeit.

Neben der Saisonkarte gibt es Zwölf-, Acht- und Vierwochenkarten. Wer über viel freie Zeit verfügt und ganze Tage, die Ferien oder den Urlaub in der Jolle verbringen will, der kommt evtl. sogar mit der Vierwochenkarte aus. Allerdings reduziert eine verregnete Woche die Vorbereitung auf den Prüfungstermin bei einer Vierwochenkarte gleich um 25%.

Wir haben uns für die teure Saisonkarte entschieden, weil wir im April, zu Beginn der Saison, begonnen haben und nach der Prüfung weiter segeln und lernen wollen. Während der ersten Wochen sind wir als Berufstätige nur am Wochenende gesegelt, aber spürbare Fortschritte stellten sich erst während unseres dreiwöchigen Urlaubs ein. Da waren wir täglich vier bis sechs Stunden auf dem Wasser.

Ganz erfolgreich scheinen Segelkurse im Urlaub zu sein. Nach meinen Lernerfahrungen ist mir allerdings ein Rätsel, wie jemand ohne Vorkenntnisse, in einer Woche die für die Prüfung vorgeschriebenen Manöver sicher beherrschen und bei den Fragebogen die erforderliche Punktzahl erreichen kann. Ein gewissenhafter Prüfer müsste m. E. hier nicht nur den Urlaubsfrieden empfindlich stören, sondern wird schnell selbst auf der Abschussliste der Reiseveranstalter stehen. Genau das bestätigt mir ein Segellehrer und ehemaliger „DSV-Urlaubsprüfer“. Eine Alternative scheinen 14tägige Kurse in „Segelurlaubsschulen“ zu sein – wenn das Wetter mitspielt. Sinnvoller ist, den theoretischen Teil im Winter in einer Segelschule zu absolvieren, um im Urlaub genügend Zeit zum Segeln lernen zu haben. Auf jeden Fall ist jeder „Segelurlaub“ besser als überhaupt keine Ausbildung, die in einigen europäischen Ländern nicht vorgeschrieben ist.

Die lustigen Hannoveraner nach bestandener Theorieprüfung.

Ein paar Wochen später folgt der Härtetest SKS-Prüfung: "Das Frollein fährt uns rein"

Trotzdem, am Prüfungstag üben wir am Vormittag weiter und plötzlich gelingen Sabine fast alle Manöver. Auch Bodo kommt zurecht und bevor der Prüfer kommt machen wir Reinschiff, nichts soll dem Zufall überlassen bleiben. Wir entwickeln sogar eine Prüfungsstrategie. Werner Dillenberg soll das Ablegemanöver fahren, dann Bodo, Sabine und ich werde zurück in den Hafen steuern. Doch der Prüfer, Herr Reinecke, wirft unsere Strategie mit einem Satz über Bord, „Nee, das Frollein fährt uns rein!“ Das Frollein heißt Sabine und hat uns auch prima in den Hafen zurück gebracht. Aber ganz von vorn. Der praktische Teil gelingt Werner und mir sehr gut, Sabine und Bodo müssen ein wenig länger schwitzen, aber die nebenbei gestellten Fragen, die uns von der schriftlichen Prüfung noch bekannt sein müssten, können wir alle nur in zusammen gestammelten Sätzen beantworten. Wie peinlich, denke ich und da schweigt auch des Prüfers Höflichkeit für eine ganz lange Weile. Schein oder Nichtschein, wiederholt sich die ewig strapazierte Frage, doch schließlich dürfen alle bestehen, auch das Frollein. Erleichterung bei der Crew und ihrem Skipper. Wir sind durch.

Übrigens ist die „Nordwind“, wie wir im Laufe der Woche feststellen, ein ziemlicher Seelenverkäufer. Das Schiff fährt scheinbar nur noch Geld für den Eigner ein, investiert wird nichts. Allein eine Grundreinigung würde dem Schiff und damit jeder neuen Besatzung gut tun. Die Polster im Salon sind völlig durch und nur der schmuddelige Bezug hält die letzten hinterbliebenen Schaumstoffkrümel zusammen – eine harte Schule für Hintern und Rücken. Das kann man sicher noch tolerieren, aber dass weder die elektrische noch die Handpumpe einen Tropfen Wasser aus der Bilge schaffen eben nicht. Die Seereling ist am Bugkorb notdürftig getapet und oft spinnt das GPS genau dann, wenn es eben nicht ausfallen darf. Die Großschot wird von Glaube, Liebe und Hoffnung zusammen gehalten, aber sie hat auch während der Prüfung „bestanden“. Da ist man in einer blöden Situation; ich hab mich angemeldet, eine Woche Urlaub genommen, alles bezahlt, der Prüfungstermin steht, nur, wer prüft eigentlich das Prüfungsschiff? Eine Zumutung, denn mit diesen Mängeln hätte die „Nordwind“ gar nicht auslaufen dürfen. Und wenn nicht? Urlaub futsch, Prüfungsgebühren, neuer Termin? Das kann teuer werden!

Was wir nicht wussten:

Ausbildungsyachten sind nach § 52a der SchiffsSVO verpflichtet, ein von der See-Berufsgenossenschaft abgenommenes Schiffssicherheitszeugnis und den Fahrterlaubnisschein nachzuweisen. Warum nur werden diese Zertifikate nicht den Prüfern vorgelegt und warum, lieber DSV, verlangen das die DSV-Prüfer nicht? Experten gehen leider davon aus, dass bisher nur 10 % der „Ausbildungsschiffe“ tatsächlich abgenommen sind. Fragen Sie vor Vertragsabschluss nach diesem Zeugnis, bevor Ihre Yacht vielleicht aus guten Gründen an die Kette gelegt wird.

Übrigens gilt diese Zeugnispflicht für alle von Skippern gewerblich geführte Yachten.

Aber nun haben wir den Schein in der Tasche und jetzt folgt für uns die schönste Fahrt auf der „Nordwind“. Völlig losgelöst fahren wir mit Sekt und Segelschiff noch einmal raus auf die Förde. Mit diesem Führerschein hätten wir jetzt (fast) überall hin fahren dürfen. Skipper Jens, der uns mit Unterstützung von Nadine, tief in die Seemannschaft eingeführt hat, lässt diese berauschende Fahrt auch gern zu und mischt sich überhaupt nicht mehr ein, schließlich sind wir ja kein Debattierverein! Bei Sonnenschein und herrlichstem Segelwetter verabschieden wir uns von der „Nordwind“, feiern am Abend im Hafen von Schilksee, bedanken und verabschieden uns von Nadine und Jens und sitzen am nächsten Tag bereits wieder in der kleinen Maschseejolle. Morgen ist Binnenprüfung…

und die haben wir auch „glänzend“ bestanden – wie man in den Gesichtern gut ablesen kann. Nun muss ein eigenes Boot her. Eine Varianta 65 wird gesucht & gefunden, aber vor der Kaufentscheidung begeben wir uns mit ohne Erfahrung auf eine …

Probefahrt bei Windstärke 7

„Dann wollen wir ’mal einen Probetörn segeln“, ermuntert uns Herr Schmude, „Sie nehmen die Pinne“. „Ich, steuern? Ich hab’ noch nie so ein Boot gesteuert“, denke ich, „aber bei dem bisschen Wind wird das kein Problem“. „Haben sie was dagegen wenn mein Stegnachbar mitfährt“? „Nein, haben wir nicht“, antworte ich so als sei die Varianta bereits unser Boot.

Bei zwei Beaufort aus West laufen wir zuerst „elektrisch“, dann unter Groß und Fock aus. Die Varianta lässt sich ja leicht steuern, freue ich mich. Wir segeln auf Amwindkurs Richtung Wilhelmstein. Es ist schwachwindig, regnerisch, aber noch bleibt es trocken. Doch achteraus bezieht sich der Himmel plötzlich dramatisch schnell, eine Gewitterfront kündigt sich an. Die Warnleuchten, die jetzt bei 6 Bft. am Ufer anspringen, signalisieren Starkwind und der kommt denn auch in Böen bis 7 Bft. Wenige Minuten später blitzt, donnert und schüttet es wie aus Eimern. Das Schiff legt sich auf die Seite, doch Herr Schmude bleibt ausgesprochen gelassen und der Rudergänger (das bin ich), der mit breiter Brust steuert, zeigt sich nach außen hin ebenso unbeeindruckt. Nach innen überschlägt er sich vor Freude. Der erste Ritt übers Wasser wird ein einziges Vergnügen, zumal der Skipper kurz vor den Böen noch ein Reff ins Großsegel gebunden hat. Wenn es wirklich eine Beziehung zwischen Schiff und potentiellem Skipper gibt, dann ist sie hier entstanden. 15 Minuten später ist der Spuk vorbei, die Gewitterfront durch. Ich auch.

Wir kaufen unser Traumschiff „flexibel“, eine Varianta 65.

Nach einigen „Kreuzfahrten“ mit mehr oder weniger Wind treffen wir auf dem Steinhuder Meer …

Giganten unterwegs nach Amerika

Bei Südwind müssten wir kreuzen, um aus der Steganlage zu kommen, aber ohne Wind keine Kreuz. Wir setzen zwar Groß und Fock, lassen uns aber von unserem Minn Kota aufs freie Wasser schieben. Dann haucht uns der Südwind so leise an den Stegen vorbei, dass nicht einmal die Logge Fahrt anzeigen kann, vermutlich dreht sich nicht einmal der Propeller. „Frühling lässt sein blaues Band...“, die Seevögel balzen um die Wette und in der Ferne entdecken Schulkinder mit ihren Tretbooten Amerika.

Wir lassen uns treiben, die Seele baumeln, die Welt ist fern und der Mastabsturz ist beinahe vergessen. Wie erholsam können schon ein paar Stunden Urlaub sein. Nach der „Wende“ passieren wir wieder unseren Steg und erschließen das Ufer westlich vom Segelclub Mardorf. Wir lassen den Kran hinter uns und dann wird unser Schneckentempo von mehreren multikulturellen Tretbootbesatzungen entdeckt, die sich die Reise nach Amerika wohl doch etwas anders vorgestellt haben. Die blasen jetzt zum „Angriff“, während wir versuchen das Letzte aus „flexibel“ heraus zu holen. Doch die im Americas Cup so erfolgreiche „Alinghi“ ist weit weg und das Beschwören eines großen Vorbildes macht uns leider keinen Faden schneller. Ich öffne das Groß noch mehr, überprüfe den Holepunkt der Fock, doch die Logge zeigt gnadenlos Null Knoten. Dieses Rennen können wir nicht gewinnen, denn die Djschungs kriegen in der Jugendherberge gutes Essen, haben Coladosen, Eis und andere legale Dopingmittel dabei, während wir uns in dieser Woche das Essen von der Stadtküche vor die Haustür stellen lassen. Gegen uns sind das Giganten.

Übrigens, Giganten ...

gab es hier schon viel früher - und was für welche. Vor ca. 130 Millionen Jahren, zu Beginn der Kreidezeit, war das nördliche Niedersachsen von einem riesigen Binnensee bedeckt, an dessen Küste Flüsse mündeten. Klima und starke Strömungen veränderten ständig die Uferlandschaft der flachen Gewässer und in diesem feuchtwarmen Klima lebten wirklich Giganten, Dinosaurier. Sie hinterließen ihre Spuren im Sand des flachen Wassers.

Als sich der Wasserspiegel senkte wurden die Spuren im Sand zu Sandstein und genau 130 Millionen Jahre später kommt die Freiwillige Feuerwehr Münchehagen den Dinos auf die Spur. Die regelmäßigen und mit Schlamm gefüllten Vertiefungen wurden auf der Sohle des Sandsteinbruches bei einer Feuerwehrübung frei gespült und zweifelsfrei als Spuren der Dinosaurier identifiziert. Seitdem hat Münchehagen seinen Jurassic-Park und ein Abstecher zu den 15 km entfernten Dinos lohnt sich ganz bestimmt.

Das Rattern der Tretboote kommt unaufhaltsam näher und wird sich in das Gehirn des Skippers einbrennen, wie einst das pock, pock, pock von Captain Ahabs Holzbein in Hermann Melvilles „Moby Dick“. Gleich werden die unser blank geputztes Boot entern und da wir mit sportlichen Mitteln keine Chance haben, können wir das „Rennen der Giganten“ nur noch mit pädagogischen Mitteln einigermaßen offen gestalten. „Du, was kosten diese Boot? Wo fährst du diese Schiff hin? Warum bist du so langsam? Dürfen wir auf deine Schiff“, fragen 10 –12 jährige Schüler und sofort geht mir PISA durch den Kopf, die Reform des Schulwesens und die Notwendigkeit sprachlicher Förderprogramme im Elementarbereich.

Mit Geduld, klarer Stimme und der Haltung eines Skippers der Kap Hoorn jeden Tag auf’s Neue umrunden könnte, beantworte ich alle Fragen. Die Djschungs hören zu, entern unser Boot nicht und das unseren Kurs kreuzende Tretboot macht so cool den Weg frei, wie eine sich unverhofft öffnende Eisbarriere im Südpolarmeer. Alle Boote bleiben auf Distanz und der frisch polierte Rumpf bekommt keinen Kratzer - doch gewonnen? Als wir auf dem Rückweg die „Rennstrecke“ erneut passieren, erzählen die Coladosen und Tüten auf dem Wasser, dass der Wind immer noch nicht aufgefrischt hat. Jetzt sind sie wohl doch auf dem Weg nach Amerika.

Mit der „Erfahrung“ vom Steinhuder Meer und 300 Meilen aus dem SKS-Törn geraten wir mit unserem 6,50 m Trailerboot, bereits mutig auf der Ostsee unterwegs, in erste Turbulenzen.

Von Gelting nach Sønderburg

… Vor uns liegt Sønderborg und die Dänen schicken extra einen Traditionssegler zu unserer Begrüßung. Das halten wir zwar für ein wenig überzogen, aber die haben sich noch mehr ausgedacht: Ohne „Prüfung“ lassen die Dänen keinen Neuen in ihre Bucht. Zwei Meilen vor der Küste dreht der Wind auf Nord und genau da wollen wir hin. Wir müssen kreuzen, doch der Wind lässt immer mehr nach. Schließlich ist es windstill – so wie gestern. Wir sehen bereits die Ansteuerungstonne, den Yachthafen, die Windmühle über der Stadt, aber wir machen keine Fahrt mehr. Andere Yachten bergen die Segel und motoren, doch das kommt für uns nicht in Frage, segeln ist doch schließlich Wassersport!

Kein Wind, der Himmel unverändert diesig und grau, was tut sich da? Ich blättere in Dieter Karnetzkis „Wolken und Wetter“, doch zu spät, plötzlich erwischt uns eine Böe wie aus dem Nichts. Von Null auf sechs Windstärken in wenigen Sekunden. Das Ziel zum Greifen nahe legt sich „flexibel“ sofort mächtig auf die Seite. Schiff und Besatzung sind erschrocken, die Fock muss runter, ist meine erste Reaktion und beim hektischen Einrollen der Fock schneide ich mir tief in den Finger, blute ziemlich heftig, aber so sind wir Helden, lassen uns nichts anmerken, bekommen die Situation erst einmal halbwegs in den Griff und dann wird gepflastert!

Wir arbeiten uns mühsam an Dänemark heran. Für diese letzte Meile benötigen wir fast eine Stunde, dann ist auch die dänische Aufnahmeprüfung bestanden. Aber was ist das für eine Böe, die sich wie eine Gewitterböe anfühlt, aber ohne Gewitter daher kommt? Nicht einmal geregnet hat es. Schon in Gelting hatte ich über das Wolkenbild nachgedacht, nur auf ein Gewitter ließ das bei meinem Kenntnisstand nicht schließen, sonst hätten wir lange vorher das WEITE gesucht. Das muss ich später mal in Ruhe nachlesen.

Wir haben schönes Wetter und natürlich auch viel Glück, wie hier z.B. in Glücksburg.

Aber wir wollen mehr und damit wir auch ’mal ein größeres Boot chartern können muss die Funklizenz her, dass UKW-Sprechfunkzeugnis. Wird das …

... die letzte Prüfung?

… Das erste Treffen des auf vier halbe Tage angelegten Kurses eskaliert dann aus ganz anderen Gründen zu einem pädagogischen Desaster. Der auf 8.30 Uhr festgelegte Kursbeginn verzögert sich bis 10.00 Uhr, da den TeilnehmerInnen (immerhin sind vier Frauen mit dabei) unterschiedliche Anfangszeiten mitgeteilt wurden. Aus zunächst 15 quetschen sich um 10.15 Uhr an die 30 TeilnehmerInnen in den viel zu engen Raum. Die Kursleiterin ist mit der Situation hoffnungslos überfordert und die angehenden Funker hochgradig genervt.

Ohne Einverständnis wird die neugierige „Besatzung“ gnadenlos geduzt und immer wieder wird der Einstieg durch organisatorische Fragen, wie z.B. „...haste denn kein Geld mit“, „...nein, ihr macht ja nur deutsch“, „…ich hab doch gesagt, ihr sollt Bargeld mitbringen“ oder „...du bist überhaupt nicht angemeldet“, unterbrochen. Irgendwann jault auch noch der inventarisierte Hund der „Motorbootfahrschule“ auf, weil er sich unter’m Tisch an den Beinen von Frank zu schaffen macht oder ihm auf die Pfoten getreten wird. Spätestens als die ersten englischen Begriffe, bzw. Texte „angesagt“ werden wird deutlich, dass die Kursleiterin nicht ein einziges englisches Wort halbwegs korrekt aussprechen kann. Shit.

Die Flucht nach vorn antretend macht sie daraus auch keinen Hehl und so mutiert urgency gnadenlos zu Uhrgennzieh. Kein Funker würde diese Dringlichkeitsmeldung verstehen und da außerdem die Hälfte der Teilnehmer über keine oder nur geringe Englischkenntnisse verfügt, wird der Kurs für alle zu einer intellektuellen Gratwanderung. Immer wieder greifen andere Kursteilnehmer korrigierend und erklärend ein. An dieser Stelle sei die Frage erlaubt, ob das internationale Sprechfunkzeugnis für diesen Personenkreis überhaupt in Frage kommen darf. Geklärt werden müsste ebenso, wer eigentlich die Ausbilder prüft? Aber wer soll das prüfen, fragt sich ein ratloser Funklehrling.

Mit der Funklizenz in der Tasche und der seglerisch durchaus belastbaren Doppelkopfrunde, begibt sich der noch immer unerfahrene Skipper erstmals auf eine größere Yachtreise.

Die «Rasmus» wird gechartert. Hier sind wir gerade in weinseliger Runde auf Lyø und høren ’mal rein…

… zurück an Bord, beginnen wir das kulturelle Erbe unserer Vorfahren zu pflegen. Als aktive Denkmalschützer holen wir rauhen Gesellen die Zeit der Kap Hoorniers in den Salon der «Rasmus». Rauh aber herzlich klingt unser Gesang und als endlich alle Dämme brechen kommt sogar, der heute wohl unter die Suchtleitlinie fallende, „Whiskey for my Johnny“ an Bord. Als wir später die unglückliche Liebe des weißen Matrosen zur Tochter des Indianerhäuptlings „Shenandoah vom great Missouri“ beklagen, sind meine Gedanken längst in den späten 60zigern. Damals, als Leichtmatrose, war ich so gern im French Quarter und in der Burbon Street von New Orleans auf den Spuren von Cajun, Blues und Jazz unterwegs. Sally fällt mir sofort wieder ein und mein Blick findet ihr auf meinen Unterarm tätowiertes Herz. „Oh Shenandoah, I love your daughter…“

Wie gut, dass wir noch in der Vorsaison sind und eine Klage Ruhe suchender Stegnachbarn ausgeschlossen werden kann. Das Bild- und Tondokument dieses wunderbaren Abends werden wir jedenfalls nicht einmal unseren Frauen vorführen. Vielleicht wird es später einmal hoch gehandelt, wenn die sterblichen Überreste des letzten Kameraden der See anvertraut worden sind.

Dienstag: Lyø - Maasholm

Der Seewetterbericht für Belte und Sund: Süd - Südwest 5 – 6, abnehmend 4 - 5, stürmische Böen, strichweise diesig.

… Kurz darauf bricht, vermutlich als letzte Warnung, ein Umlenkblock der Genua-Reffleine und danach entscheide ich, dass wir unseren Fisch im deutschen Maasholm statt in Sønderburg kaufen werden. Vorteil: Um die Schlei anzulaufen, brauchen wir nicht einmal den Kurs zu ändern und sind schneller dort, als in jedem anderen Hafen. Gegen 13.00 Uhr wird damit wieder einmal ein neues Tagesziel „unterwegens“ formuliert. Bereits um 14.40 Uhr haben wir den Leuchtturm von Falshöft 6 sm querab. Die Situation an Bord bleibt weiter angespannt, aber immerhin ist die rettende deutsche Küste in Sicht und „…da wir bisher nicht gekentert sind, kann die Yacht wohl auch nicht umkippen“, kommt es bereits vorsichtig optimistisch aus Bogis Ecke. Der Wind pendelt sich jetzt bei 7, in Böen bei 8 Windstärken ein, aber wo ist Schleimünde? Die Küste kenne ich doch wie meine Westentasche. Die charakteristischen Baumgruppen vor dem kleinen Leuchtturm von Schleimünde müssten längst zu sehen sein – wenn die Bäume Laub tragen würden.

Wieso fällt mir ausgerechnet jetzt der Ankommensschluck von Bagenkop wieder ein? Hat Neptun die Kommentare der inzwischen so gestandenen hannöverschen Seeleute etwa doch nicht vergessen? Warum hab’n die Dschjungs auch nur so undankbar reagiert oder hätte ich Neptun einen größeren Schluck zukommen lassen müssen? Hoffentlich kommen wir hier heile raus. Je dichter wir unter Land kommen, desto kürzer und ruppiger wird die Welle. Immer wieder kommt Wasser über und lustig ist das längst nicht mehr. Scheinbar kommen wir auch nicht mehr gegenan und drohen eher von der Küste wegzudriften. Um 16.00 Uhr entdecke ich hinter den kahlen Bäumen endlich den Leuchtturm. Und spätestens jetzt stampfen wir uns fest. „Die Segel müssen runter“, höre ich Andreas, „sonst treiben wir weiter ab“. Mit viel Krafteinsatz gelingt das Manöver. Die Genua wird mühsam eingerollt und schließlich bekommen wir auch das gereffte Großsegel in den Griff, wenngleich der Wind unter Maschinenfahrt erst recht mit uns macht, wasser will.

Die letzte halbe Meile bis zur Einfahrt in die Schlei wird ein Ritt über schäumendes und gurgelndes Wasser. Mit halber Maschinenkraft treiben wir beinahe rückwärts und mit voller Kraft kracht das Vorschiff immer wieder auf die Wellen und kommt nur mühsam voran. Die Gischt fliegt uns förmlich entgegen. Wir ducken uns unter die Sprayhood, doch selbst ein Scheibenwischer würde das Spritzwasser nicht wegschaffen. Ich kann kaum was sehen, hab Salz in den Augen und muss trotzdem darauf achten, dass wir in’s Schleifahrwasser reinkommen. Wie ein Stehaufmännchen gucke ich rüber, ducke mich, muss wieder über die Sprayhood schauen und werde unfreiwillig zum John Maynard der »Rasmus«. Während also die Schwalbe über den Eriesee fliegt..., haben wir noch lange nicht die Einfahrt passiert. Zwei Schritte vor und 1,5 Schritte zurück. Erst ein paar Tage später wird mir klar, dass der kräftige Westwind das Wasser aus der Schlei durch die Fahrrinne in die Ostsee drückt. Genau hier durch. Wir haben die ganze Strömung voll von vorn. Das erfordert natürlich eine kräftige Maschine und in diesem Fall nicht unbedingt des Kanzlers ruhige Hand.

Endlich haben wir die Einfahrt recht voraus, doch gerade im Fahrwasser der Schlei pfeifen uns Wind und Strömung nur so um die Ohren. So was habe ich noch nie erlebt. Endlich der Leuchtturm. Der kleine Yachthafen von Schleimünde ist noch völlig leer und in der Fahrrinne muss ich höllisch aufpassen, den Tonnenstrich nicht zu verpassen oder gar quer zu schlagen. Einige Sandbänke deuten an, wie flach es gleich neben dem Fahrwasser ist. Als wir endlich nach Maasholm abbiegen und den Wind von der Seite kriegen, legt sich die Yacht kräftig auf die Leeseite. So viel Krängung ohne Segel? Wie viel Wind haben wir bloß? Der Hafenmeister von Arnis sagt zwei Tage später, bei ihnen wären es neun Bft. gewesen, im Restaurant legt man sich auf acht fest und der hier unten hat sieben Bft. gefühlt.