"Von Schlitzohren und Armleuchtern, von Stinkreichen und Steinen des Anstoßes"

    
    
    
    
    

    

Samstag, 15.04.06, Heiligenhafen - Grömitz

Eigentlich wollen wir heute innenbords den Frühjahrsputz abschließen. Eigentlich, wenn nicht der Wetterbericht für Morgen einen finsteren Tag vorhersagen würde. Nass, Schauerböen und um 5 - 6 Bft aus W - SW. Und heute scheint die Sonne, weht ein O - SO 3. Also los, Staubsaugen und putzen können wir auch bei Regenwetter und Schauerböen in jedem anderen Hafen.

Wir sind natürlich schon spät dran und koppeln uns die Lübecker Bucht vom Fehmarnsund südwärts. Klar, Ostermontag wollen wir dem Yachtclub Kattegat an der Untertrave einen Besuch abstatten und vor allen Dingen steht Lübeck auf unserem Programm und Christiane, mit der wir uns schon lange einmal treffen wollen. Heute wird es bestenfalls bis Grömitz reichen - jedenfalls bei 5 kn Fahrt.

Die macht unsere Maschine spielend, denn als wir um 1550 Uhr in Heiligenhafen ablegen, kommt uns ein schwacher NO entgegen (eben nicht O - SO). Nach der Autobahnhektik endlich manöverfreie Zeit für die Kaffeepause, Zeit für einen kleinen (symbolischen) Sherry mit Neptun, ein Dankeschön an Selma für den wunderbaren Reisekuchen und völlig entspannt setzen wir um 1710 Uhr Groß und Genua und sind bei nur 3 Bft. plötzlich mit 5 kn auf Südkurs.

Doch je tiefer wir in den Süden vordringen, desto mehr Cirren ziehen auf. Der wolkenlose Himmel der Abreise bezieht sich zunehmend. Auf der Höhe von Dahme verabschiedet sich die Sonne und bei Dameshöved (1930 Uhr) wird es beinahe finster - eine Kaltfront kündigt sich an. Klar, dass auch das Barometer in den Keller geht. Naja und ein Osterspaziergang bei 6 - 7° verlangt nach langer Unterwäsche, mehreren Lagen Flies, Handschuhen, Kopfbedeckung und trotzdem geht uns die Kälte langsam an die Wäsche.

Fehmarnsund
    

Dahme
    

Dameshöved

Wenigstens der Wind bleibt stabil, dreht langsam auf O und treibt "Kalami" weiterhin konstant mit 5 kn. Nur die letzten 6 sm bis Grömitz ziehen sich sowas von in diiiieeee Lääääänge, dass wir schon fürchten, in der Dunkelheit anzukommen.

    
    

Natürlich sind längst die Positionslichter angesteckt, als wir vor der Seebrücke von Grömitz die Segel bergen. Auf wundersame Weise stellt in diesem Moment auch der Wind seine Arbeit ein - der kleine Sherry zu Beginn der Reise hat bei Neptun seine Wirkung offenbar nicht verfehlt. Um 2105 Uhr sind wir, inzwischen ist es stockdunkel, nach 24,6 sm fest in Grömitz - nicht unbedingt mein Lieblingshafen.

 

Ostersonntag, 16.04.06, Hafentag in Grömitz

Der Skipper geht am regennassen Ostersonntag erst einmal auf die Laufpiste, aber bei dieser Kälte hält er vergeblich nach Ostereiern Ausschau - es sind ohnehin nur ein paar falsche Hasen unterwegs. Nach dem Frühstück wird "Kalami" unter Deck auf den Kopf gestellt und der Winterdreck vom Kleben und Schleifen eingesammelt. Inzwischen regnet es beständig und da gibt es zum Frühjahrsputz ohnehin keine Alternative. Erst am späten Nachmittag klart der Himmel für zwei, drei Stunden auf und plötzlich sind sie alle draußen vor der Tür. Auf der marmorierten Promenade wird georgelt und klabautert, sind die Cafés und Eisdielen rappelvoll. Frohe Ostern.

    

Selbst in der zweiten Reihe hat ein Supermarkt geöffnet und das Café Crema, ich hoffe, das heißt tatsächlich so, versöhnt uns ein wenig mit der Grömitzer Betonwüste. Die haben total leckeres Eis, kommen aber mit dem plötzlichen Kundenansturm in erhebliche "Kalami"täten. Wir haben jedenfalls ein paar Schätze aus Grömitz mitgebracht, Sabine will sie uns allerdings nicht so recht zeigen, wie man hier unten gut sehen kann.

 

Ostermontag, 17.04.06, Grömitz - Lübeck

SW – W 5 – 6

Morgens müssen wir leider mal wieder unsere Lehrgeldkasse öffnen und das kommt so: "Irgendwas riecht hier sauer, aber auch nach Technik", analysiert Sabine ganz in der Nähe der Batterien. Schnell wird die Hundekoje ausgeräumt, Polster und Sperrholzplatte kommen an die Seite und tatsächlich, eine der Servicebatterien ist total heiß. Wir haben vergessen, den Säurestand zu messen und hätten längst destilliertese Wasser nachschütten müssen. Okay, das ist leider nicht mehr zu ändern. Klar, die Batterie hat vier Jahre einen guten job gemacht, aber das ist und bleibt ein Eigentor und damit kommt das Ende der 88 Ah-Batterie vielleicht ein Jahr früher als erforderlich.

Außerdem regnet es schon wieder ohne Ende, die Sicht geht gegen null und wir haben wie immer 6° Außentemperatur. Eine Vergnügungsreise wird dieser Törn nach Lübeck eher nicht. Hallo, wir haben Urlaub, das sind die kostbarsten Wochen des Jahres und jetzt so was???

Um 1230 Uhr legen wir ab. DP07 hat uns 5 – 6 Bft. aus SW – W angedroht, aber hier kommen bescheidene 1 - 2 Bft. aus S an. Segeln? Keine Spur, lediglich ein Mitbewerber ist mit uns unterwegs und der streicht ebenfalls die Segel. Das nächste Schauer kündigt sich an und Travemünde versinkt in der Ferne erneut im grauen Stratuseinerlei. Nur das GPS weist noch den richtigen Kurs.

Der Wetterfrust ist diesem Skipper buchstäblich
ins Gesicht geschrieben
    

Mal zeigt sich Travemünde, dann verschwindet
es wieder im Stratuseinerlei

Um 1420 Uhr erreichen wir nach 10,6 sm Travemünde. Österlicher Auftrieb an der Promenade. Die Menschen genießen die knappe halbe Stunde ohne Regen, während wir, wie vom anderen Stern mit Ölzeug und Südwester bewaffnet, an ihnen vorüberziehen.
    

Sabine gefällt das Stadtbild und möchte am liebsten für ne Stunde festmachen, aber dann gibt sie diesen Wunsch doch wieder auf. Wir wollen traveaufwärts ja noch Uli Stüves Yachtclub Kattegat besuchen, die defekte Batterie hat einfach zu viel Zeit gekostet.
    

Na und dann legen wir uns sogar noch mit der Berufsschifffahrt an, weil ich Trave Traffic auf Kanal 13 nicht mitlaufen lasse. So ein Typhon kann mächtig laut werden - dabei konnten wir wirklich nicht erkennnen, dass der Dampfer manövrierte, der lag doch längst an der Pier. Also nochmal Lehrgeld in die Kasse ...
    

So und wer jetzt eine farbenfrohe Illustration der noch winterlichen Untertrave erwartet, der sollte besser zu www.feelthewind.de umschalten. Ralf Somplatzki hat bei optimalen Sommerbedingungen einen wunderbaren Törn mit sagenhaften Fotos dokumentiert. Schaut euch das mal an, Neid.
    

Wir hingegen motoren bei 6° dem Yachtclub Kattegat entgegen. Na prima, inzwischen hat sogar der Wind sein Fehlen bemerkt und löst mit 6 Bft. aus SW reichlich verspätet die Vorhersage ein. Worauf kann man sich eigentlich noch verlassen? In Ulis Yachtclub ist tote Hose. Die „Feiglinge“ haben noch alle Boote an Land rumstehen und zum Zeichen der Abschreckung sind auf den Schwimmstegen sogar Flatterleinen gespannt. Als wir es dennoch wagen, „Kalami“ hier festzubinden verstecken sich die Segler lieber unter Planen und haben reichlich zu tun (am Samstag wird gekrant). Nun ja Uli, wir kommen wieder wenn eine Blaskappelle auf uns wartet oder ein Shantychor, ein Flens oder Dscheever, jedenfalls wenn Du da bist.
    

Eine gute Stunde später machen wir nach insgesamt 24,6 sm seit Grömitz, beinahe mitten in der Stadt, im Hansahafen fest. Das könnte gefallen, wenn der Hafenmeister nicht irgendwelche Wintermärchen erzählen würde, warum sie "wegen der Kälte" die Duschen und Toiletten immer noch nicht in Betrieb genommen haben. "Ihr könnt die Toilette beim Bäcker oder beim Türken mitbenutzen!" Toller Service, als ob in Heiligenhafen oder Grömitz Sommer wäre!

Dafür überrascht die Stadt und genau deshalb sind wir hier.

Kneipentipp: Theaterklause

 

Dienstag, 18.04.06, Hafentag in Lübeck

Die Beschreibung der Stadtführung würde den Rahmen einer Segelseite sicher sprengen. Wer an einer Führung teilnehmen möchte findet Treffpunkte im Tourismusbüro am Holstentor oder eben am Rathaus.

    

Wer sofort durch die Stadt ziehen möchte, der findet auf der homepage der Hansestadt Lübeck alle Sehenwürdigkeiten mit ausführlicher Beschreibung. Dieser Link führt direkt in die Salzspeicher oder z.B. in die St. Jakobikirche.

    

Ach ja, von Schlitzohren und Armleuchtern, von Stinkreichen und Steinen des Anstoßes war eingangs die Rede. Wenigstens das habe ich mir bei der Stadtführung gemerkt:

Der Begriff Schlitzohr stammt ursprünglich aus der Zunft der Zimmerleute, die auf Wanderschaft waren. Hatte ein Zimmermannsgeselle grob gegen Regeln verstoßen oder ist sogar straffällig geworden, so wurde ihm der Ohrring ausgerissen. Somit waren weitere Arbeitgeber oder Meister gewarnt. Der Ohrring, den alle Zimmermannsgesellen trugen, war der einzig angesparte Reichtum, mit dem das spätere Begräbnis bezahlt werden sollte - Quelle Udos Wöterbuch. Wie ursprünglich den Zimmermannsgesellen ging es in Lübeck auch anderen Gesetzesbrechern an die Ohren.

Armleuchter hingegen waren nicht nur Kandelaber sondern von richtig lebendigen "Armen" wurden für die reicheren Kirchenbesuchern Kerzen oder Fackeln gehalten - die im Dunkeln sieht man nicht!

 
    

Nur Stinkreiche konnten sich ein Begräbnis in der Kirche leisten. Wurde zu einer späteren Beerdigung das Grab wieder geöffnet hielt man sich vor Gestank die Nase zu. Das war natürlich nicht der Stein des Anstoßes, sondern diese Granitsteine wurden an den Hausecken angebracht, damit die Pferdekutschen mit ihren Rädern in den engen Kurven nicht die Hausfassade beschädigen konnten.

    

Eines der schönsten mittelalterlichen Gebäude Lübecks (links) ist die Schiffergesellschaft in der Breiten Straße 2, die "klassischste Kneipe der Welt". Wer zünftig essen möchte, egal ob als Segler oder Landratte, der hat woanders nix zu suchen. "Dem ist aber auch gar nix hinzuzufügen", ergänzt die Lübeckerin Christiane, die uns für diesen Besuch nicht lange motivieren muss.

Übrigens, wer ganz besondere Fotos aus HL sehen möchte, folge diesem Link


Mittwoch, 19.04.06, Lübeck - Heiligenhafen

SW - W drehend 3 - 4, später W drehend, Schauer (der Wetterbericht überrascht nicht wirklich)
    

Um 1110 Uhr sind wir seeklar und wieder traveabwärts unterwegs. Auch die schönsten Details am Traveufer versinken in tristen Farben. Nach 6 sm setzen wir endlich die Segel um sie 2 sm später gleich wieder zu bergen. Nach 2 Std. 10 Min. Motorfahrt mit wenigen Segelversuchen passieren wir die "Passat" wieder seewärts.

Wer's nicht weiß, der alte (links) und der neue Leuchtturm. Der neue Leuchtturm auf dem Maritimhotel in Travemünde ist mit 114 m gleichzeitig Deutschlands höchstes Seezeichen. Das bekannteste Seezeichen von Travemünde ist aber zweifellos die "Passat".
    

Weitere Segelversuche werden wegen Erfolglosigkeit eingestellt und es kommt wie es kommen muss. Diesmal zwingt ein kräftiges Hagelschauer die Besatzung ab Dameshöved wieder ins Ölzeug und sorgt zeitweise für konflikthafte Stimmung an Bord der "Kalami", obwohl "man" bei dem Wetter eigentlich doch nur cool bleiben kann.
    

Um 1950 Uhr hat uns Heiligenhafen endlich wieder - ganz friedlich, obwohl Gewitterdonner über der Stadt liegt, der sich wieder einmal als Schießübung drüben in Putlos enttarnt. Hinter uns liegt immerhin eine Tagesdistanz von 44,2 sm, genug für Appetit auf Bratkartoffeln, Brathering und Rote Beete, für Heineken Bier aus der Dose. Wo gibt's denn so was? Hollandimport an Bord der "Arkona".