Am Steg herrscht aufgeregte Regattastimmung. Die Optis sind los. Gerade ist eine heftige Regenböe durchgezogen und nun kommt wieder für eine Weile die Sonne durch. Der Wetterbericht hat 4 – 5 Bft. für diesen Samstag angekündigt. Wenn wir nicht jetzt im Sonnenschein auslaufen, wann denn? Klar, Windstärke 5 haben wir allemal, in Böen sogar 6 Bft. Deshalb binden wir vor dem Auslaufen lieber gleich ein Reff ins Groß. Bei Bedarf können wir zudem die Fock einrollen, sodass wir auf noch stärkere Böen angemessen reagieren können. Wir haben die Stege noch gar nicht richtig verlassen, als uns der steife Westwind erwischt und ein munteres Tänzchen verspricht. Genau darauf hatte ich mich so gefreut. Ich will mich an die Grenze heran tasten und endlich segeln!!! Und da Jörg vorher von seiner Nordseeerfahrung berichtet hat und die Varianta sich zwar ordentlich auf die Backe legt, aber niemand sie „umkippen“ kann, steht dem nichts mehr im Weg. Also wird es kommen, wie es kommen soll!

Der Wind bläst jetzt immerhin mit 6 Bft. aus West und ohne Fock lässt es sich noch einigermaßen aufrecht segeln. Die Warnblinkleuchten, die ab 6 Bft. ihre Arbeit aufnehmen, sind in Betrieb und wir nähern uns bereits dem Wilhemstein, als uns die erste Regenböe erwischt. Dabei kommt der Schaum auf dem Wasser in deutlich sichtbaren langen Streifen in Windrichtung daher, demnach haben wir sogar 7 Bft. Bei guter Sicht bleibt trotzdem genügend Zeit, sich gut darauf einzustellen. Der Skipper steigt erstmals in warme und regensichere Kleidung und die Varianta kommt gut mit den Böen zurecht. Um uns selbst ein wenig vor der „gefühlten Kälte“ zu schützen, halsen wir auf Raumschotkurs und sind zu dieser Zeit, außer mit einer weiteren Yacht sowie den Surfern und Kitesurfern, die bei diesem Wetter einen richtigen Feiertag haben, allein auf dem Wasser.

Als uns später beim Passieren von Steinhude die ersten Laser (= Regattajollen) mit Kurs auf ihre Regattabahn passieren, flaut der Wind auf 4 Bft. ab und die Sonne kommt wieder hervor. In der Ferne kündigt sich zwar bereits die nächste Front an, aber für voraussichtlich eine halbe Stunde werden wir die Sonne behalten. Wir passieren die Badeinsel, besuchen die Clubanlagen ganz im Südosten und halsen schließlich vor Großenheidorn auf Nordkurs. Bei halbem Wind und gerefftem Groß „pötteln“ (O-Ton Jörg) wir so vor uns hin. Brotzeit: Mettwurststracke, Käse, Zwiebelbrot, Tee, Sonnenschein und eine kräftige Brise, Seglerherz, was willst du mehr!


Übrigens, Segelclubs...

gibt es auf dem Steinhuder Meer erst knapp hundert Jahre. 1906 erhalten Kapitänleutnant a. D. Menger und Kapitän a. D. Walter von der Fürstlichen Hofkammer die Genehmigung, mit einem eigenen Boot das Steinhuder Meer zu befahren. Am 1. April 1906 wurde der Hagen-burger Yachtclub gegründet, 1908 folgte der Segelverein Steinhude, der seinen Namen 1914 in „Fürstlich-Lippischer Segelverein Steinhude“ änderte. 1910 gründete sich der Steinhuder Yachtclub und 1921 der Segel-Club Steinhuder Meer e.V.

Die ersten Segelclubs hatten am Südufer ihr zuhause. Dies wurde u.a. durch die Steinhuder-Meer-Bahn begünstigt, mit der damals die Segler aus Hannover anreisen konnten. Auf der Mardorfer Seite begann die organisierte Segelei am Nordufer erst in den sechziger Jahren.


Die Postboje will im neuen Fernglas partout nicht auftauchen (wird erst in einer Woche ausgebracht), aber bald werden wir die Moorhütte erreichen. Wollen wir dort festmachen? So richtig entscheiden wir das nicht. Als wir die nordöstlichste Ecke des Steinhuder Meeres befahren, frischt der Wind wieder auf 7 Bft. auf. Noch haben wir gute Sicht, aber westlich von uns sehen wir bereits den Regen waagerecht übers Wasser fliegen. Inzwischen hat uns die Abdrift so weit nach Osten versetzt, dass wir die Moorhütte vergessen können und nur mit dem Groß kommen wir einfach nicht durch den Wind, aber jetzt müssen wir endlich wenden!!! Bis zum Ufer sind es vielleicht noch 300 m. Wo wird das Wasser so flach, dass wir aufsetzen? Wir sitzen in der Falle, sind auf Legerwall geraten.

Westlich von uns hat die Böe bereits eine Jolle gekentert, doch die Crew macht keine Anstalten, das Boot aufzurichten und Notsignale geben sie auch nicht. Die warten besser ab bis die Böe durch ist. Wir hätten sie ohnehin nicht erreichen können. 100 m nördlich „treiben“ zwei Surfer an uns vorbei, die sich flach auf ihre Bretter gelegt haben und auf diese Weise die Böe abwettern. Zwei, drei weitere Versuche, uns doch noch mit einer Wende aus der Falle zu befreien, schlagen fehl, im Gegenteil, jetzt bietet das dichtgeholte Groß dem Sturm soviel Angriffsfläche, dass „flexibel“ sich voll auf die Steuerbordseite legt und Jörg, der in Vorbereitung der Wende schon die Seite gewechselt hat, sitzt nun auf der „falschen Seite“. Unter Deck rumpelt einiges durcheinander. Die Böe hat inzwischen eine richtige Welle aufgebaut und das Ufer kommt immer näher. Wann setzen wir auf, noch 100 m oder 50 m? Es wird eng.

Endlich platzt der Knoten in meinem Kopf: Eine Halse!!! Dieses Manöver hatte ich unter dem „tiefDruck“ fast vergessen und die Halse befreit uns sofort aus der Klemme. Als wir „Rund achtern“ kommen und das Groß nach backbord schlägt, legt sich unser Dampfer noch einmal extrem auf die Seite, aber diesmal sind wir beide auf der Luvkante; „flexibel“ richtet sich sofort wieder auf. Das Manöver bringt uns dem Ufer zwar noch zwei, drei Bootslängen näher, doch dann segeln wir uns langsam vom Ufer frei. Wir haben das Boot wieder im Griff und wenig später geht der Böe zum Glück die Puste aus.

Als wir nach 15 Minuten wieder die Höhe der Badeinsel erreichen, setzen wir die Fock, weil wir nicht mehr „pötteln“ wollen. Sofort springt die Logge auf 9 Knoten (9 x 1852 m = 16,7km/h), so schnell bin ich mit „flexibel“ noch nie gesegelt. Wieder kommen die Regattalaser aus den Clubanlagen auf die Piste, passiert die Wasserschutzpolizei mit hoher Geschwindigkeit, überhaupt kommt richtig Leben in die Bude.

Die Sonne scheint, wir haben eine wunderbare Sicht, Zeit für Kirschkuchen, Apfelkuchen und Früchtetee. Wir kreuzen nach Hagenburg hoch, wechseln rüber zum Nordufer und machen ordentlich Speed. In der Nordwestecke kämpfen über 50 Optis, endlich bei optimalen Segelwetter um die Plätze auf dem Podium, während im Harz, 100 km südwestlich von hier, Winterbereifung empfohlen wird. Um 18.15 Uhr machen wir fest.

Mehr Abenteuer geht doch nicht – oder?

Geht doch! Am folgenden Montag lese ich in der Zeitung, dass am Samstag auf dem Steinhuder Meer 40 Boote gekentert und einige Freizeitsegler in Nöte geraten sind, als eine Böe mit Windstärke neun ein Regattafeld durcheinander gewirbelt hat. So ist das mit den gefühlten und gemessenen Windstärken. Für mich waren es nicht mehr als sieben Bft., Basta!