Heute wird das 40jährige Clubjubiläum gefeiert. Für den Abend sind „Happy Jazz & Co“ angesagt, diverse Partyzelte aufgebaut und damit kündigt sich ein schönes sommerliches Fest an. Doch erst die Arbeit und dann das Vergnügen, also erst die Clubregatta und dann feiern. Diesmal tragen wir uns gleich in die richtige Liste ein und sind bei der Steuermanns-besprechung in der ersten Reihe. Bloß nichts verpassen. Der klassische Dreieckskurs wird angekündigt, d.h. die Bojen bleiben an Backbord. Der Start erfolgt auf Amwindkurs mit Ziel Boje eins. Nach passieren der ersten Boje folgt der Raumschotkurs zu Tonne zwei, dann schließt der Raumschotkurs auf dem anderen Bug zu Boje drei das Dreieck. Wieder auf Amwindkurs zu Boje eins und von dort vor dem Wind direkt zu Boje drei. Diese beiden „Runden“ werden wiederholt und kurz vor Boje eins ist das Ziel. Alles klar? Wir haben jedenfalls verstanden!

Bereits vom Steg aus sehen wir wie stark sich inzwischen die Wasserpflanzen überall ausbreiten. Die landseitigen Liegeplätze sind voll von „kanadischer Wasserpest“, die Boote müssen förmlich über’s „Gras“ geschoben werden. Bei unserer Probefahrt mit „flexibel“ hat Herr Schmude das Steinhuder Meer als Feuchtwiese bezeichnet, ob er diese Entwicklung geahnt hat? Wie es wohl erst draußen aussehen wird? Wir machen „flexibel“ regattaklar. Genua oder „Arbeitsfock“? Wir entscheiden uns für die Fock, weil der Amwindkurs mit der Genua kein winner werden kann. Außerdem werden wir das Schwert einsetzen, damit wir höher an den Wind kommen.

Vor der Startlinie herrscht viel Aufregung, ein Getümmel aus vielleicht 30 Booten und wir halsen und wenden mittendrin. Dann das Hupsignal, noch 5 Minuten bis zum Start und überall laufen jetzt die Stoppuhren mit. Das nächste Signal, nur noch eine Minute und an der Startlinie wird es immer enger. Jollen, Jollenkreuzer, Dickschiffe, mittendrin Optis und dann der Start. Wir kommen gut weg und sind mit rund 30 Booten auf der Kreuz. Schnell setzen sich die leichten Jollen ab, die Jollenkreuzer rauschen an uns vorbei, aber mit den Dickschiffen können wir gut mithalten.

Nach Boje eins kommen wir auf Raumschotkurs und überholen sogar zwei Boote; super! Danach, auf dem Steuerbordbug, werden wir jedoch gleich von denselben Booten wieder kassiert und nach Boje drei tauchen am Heck sogar Boote auf, die wir gar nicht auf unserer Rechnung haben. Dann kommt es zum Supergau, wir werden nach hinten durchgereicht und merken, „flexibel“ lässt sich zeitweise gar nicht präzise steuern. Wir haben Mühe auf der Kreuz durch den Wind zu kommen, haben Mühe auszuweichen und hier rauschen uns schon die ersten Jollen auf Vorwindkurs entgegen. Trotzdem, geben wir nicht auf, der olympische Gedanke treibt uns weiter, auch wenn wir immer weiter zurück fallen. Wo ist eigentlich Hagen mit seinem Schwertzugvogel geblieben?

Frust macht sich breit und schlechte Laune. Wir sind nicht einmal die halbe Strecke gesegelt, als die ersten Jollen bereits das Ziel erreichen. Was ist nur los? Wenig später kommt Kay Upleggers Sportina 600 auf Vorwindkurs immer näher. Wir müssen ausweichen, doch „flexibel“ reagiert nicht. Die Pinne liegt hart backbord und dennoch bleiben wir auf Kollisionskurs, schiebt „flexibel“ wie ein Tanker ungebremst weiter geradeaus. Sabine ist entsetzt und bei der Vorschoterin kommt richtig Panik auf. Ich rufe Kay Uplegger zu, dass wir nicht ausweichen können. Kay erkennt die Gefahr und versucht ein Ausweichmanöver. Da sich „flexibel“ nun wenigstens ein bisschen in den Wind bewegt rauschen wir Zentimeter aneinander vorbei. Das war knapp.

Immer mehr Boote erreichen das Ziel, während wir noch langsamer werden. Wir kämpfen uns mühsam durch die Wasserpestfelder, die unter Wasser scheinbar das ganze Regattafeld begrünen. Aus den Booten, die uns überrunden und die befürchten, von uns an der Tonne behindert zu werden, werden wir gefragt, „...hej, fahrt ihr auch Regatta?“ Klar, die haben uns vergessen. Stan Nadolny fällt mir ein und seine „Entdeckung der Langsamkeit“. Sollen wir aufgeben? Da kommt Klaus Roth auf, fragt, wie viele Runden er noch fahren muss und ist auch schon wieder vorbei. Zu allem Unglück kommt nun auch noch Pech hinzu. Demora-lisierend! Plötzlich hat Sabine die Idee: Mit dem Bootshaken beginnt sie, am Ruderblatt herum zu stochern und siehe da, wir schleppen bestimmt einen Anhänger voll Wasser-pflanzen hinter uns her. Das gibt’s doch gar nicht! Die Wasserpest hat das Schiff schwer gemacht, das Ruder blockiert und beinahe eine Kollision verursacht. Kein Wunder, mit 70 cm Tiefgang pflügen wir die Wiese!

Sofort nimmt „flexibel“ wieder Fahrt auf, lässt sich wieder steuern, wirkt wie befreit und jetzt rollen wir das Feld von hinten auf – wenn es überhaupt noch eins gibt. Wir passieren Boje drei, gehen auf Amwindkurs, - aber da ist gar keine Boje mehr, auch die Zieleinfahrt mit dem Motorboot ist verschwunden. Das kann nicht sein, auf dem Steinhuder Meer gibt es doch kein Bermuda Dreieck, in dem ganze Schiffe oder Zieleinläufe auf mysteriöse Weise verschwinden. Die haben uns wirklich vergessen? Ich erinnere mich an einen Japaner, der 40 Jahre nach dem Krieg nichts vom Kriegsende mit bekommen hatte. Aber hier tobt kein Krieg, das ist Wassersport, die dritte Clubregatta des SC Mardorf. Was haben wir gekämpft, geflucht, uns geärgert, sind am Ende des Feldes der Verzweiflung nahe, das können sich die Sieger gar nicht vorstellen und jetzt dürfen wir nicht einmal mehr ins Ziel.

Segler! Bei der Tour de France fährt immer ein „Lumpensammler“ hinterher, der die Renn-fahrer einsammelt, die völlig von der Rolle und jenseits jeder Zeit sind. Nicht einmal diese Demütigung wird uns gegönnt. Wir müssen ganz allein damit fertig werden. Haben wir uns in die richtige Liste eingetragen? Klar, haben wir und unsere Segelnummer ist auch noch dran! Hallo Begleitboot, hier, VA 1898, kann jeder lesen, auch die Wettfahrtleitung, aber wir sind mit unserem Schicksal doch nicht ganz allein, auch aus anderen Booten höre ich Protest. Diesen Booten ist genauso das Ziel genommen worden, nur wir hätten noch eine weitere Runde segeln müssen, stell Dir das mal vor. „Fiete will wohl eher duschen“, höre ich Kommentare. „Die hätten wenigstens ein Signal geben können“, ... wenigstens eins.

Am Steg empfängt uns Hagen, der mit seinem Kielzugvogel gleich in der ersten Runde ausgestiegen ist. Viele Boote haben die Regattabahn verlassen, weil sie mehr mit der Wasserpest, als mit der Regatta zu kämpfen hatten – nur wir haben das viel zu spät gemerkt, so viel hatten wir mit uns selbst zu tun. Wieder Lehrgeld? Nein, Erfahrung!

Erst die Regatta, dann das Vergnügen. Viele Segler sind inzwischen fertig zum Landgang und angemessen festlich für das 40. Clubjubiläum verkleidet, allen voran die frisch geduschte Wettfahrtleitung, bzw. der zielsichere 1. Vorsitzende. Überhaupt erscheint der gesamte Vorstand im Blazer, mit Clubkrawatten und „Fiete“ hält auch eine prima Rede, aber diesmal werfe ich vor Begeisterung kein Freibier um. „Happy Jazz & Co“ spielen u.a. mit „What a wonderful world“ eine prima Mucke runter und nach einer Weile weht der Mantel der Geschichte über dieser Regatta. Der Club feiert sein Clubjubiläum und gäbe es jetzt Wildschweinbraten, es wäre wie in dem berühmten kleinen Dorf in Gallien, wo manchmal ein Zaubertrank die Runde macht...

Und genau dieses oder wenigstens ein vergleichbares Getränk muss einigen Seglern aus dem berühmten kleinen Dorf so sehr die Zunge gelockert haben, dass sie alle verbalen Hemmungen über Bord werfen. Jedenfalls schimpfen sie wie die Rohrspatzen über die „Römer“ - damit ist in diesem Fall vermutlich die Bezirksregierung gemeint, „…die spinnen doch, die von der Bezirksregierung, soll’n se doch seh’n, wie se das Zeug da rauskriegen“!!! Wenig später wird daraus der konkrete Auftrag, der Beamte an sich möge doch bitte sofort und eigenhändig das Steinhuder Meer von der kanadischen Wasserpest befreien, „...und wenn ihr’s allein nicht schafft, muss am Wochenende eben die Familie mit ran“. Als Mitarbeiter des Öffentlichen Dienstes ist es jetzt wirklich ratsam, zu schweigen, sonst hätten vermutlich auch noch die nun wirklich unschuldigen Beamten und Angestellten der Stadtverwaltung mit anpacken müssen. Gerade so, als hätte diese beklagenswerte und von diesen gedopten Seglern bedrohte Spezies Mensch die „Wasserpest“ hier eingeschleppt.