Mit nearly absolute Beginners oder mit der "gefühlten" Segel-WG auf Wochenendtörn

Wolfgang wird der Maschsee und überhaupt das Binnensegeln langsam zu eng. Er will an der Küstenfahrt schnuppern, viel lernen „…und vielleicht steige ich danach in einen SKS-Kurs ein“.
    

Claudia fährt so gern Fahrrad, besonders an Ihme, Leine oder Maschsee, aber Segeln? "Noch nie, jetzt will ich das endlich probieren!"
    

Daggi traut sich inzwischen fast alles, aber warum um Himmels willen Segeln? "Ich habe so viel auf Deiner Seite gelesen, ich will endlich mal selbst dabei sein".
    

Ralf freut sich auf das feeling in dieser "gefühlten" Segel-Wochenend -WG und ist auf den Ausgang der Reise sehr gespannt. Ziel: Alle „sollen“ gern wieder kommen.
 


Freitag, den 21. September: Heiligenhafen – Großenbrode

Wetter: SW – W 3 - 4

Die Crew hat bestimmt zu viel Proviant gebunkert, aber egal, damit sind wir auf der sicheren Seite und können zur Not sogar eine ganze Woche segeln. Das Stauen und Zurechtfinden an Bord geht zügig, die Kojen sind ratzfatz bezogen, die Sicherheitseinweisung und der Gebrauch der Seetoilette stellt die Newcomer vor keine größeren Probleme, Gas und Seeventile sind klar, dann die Einführung in Seekarte, Wetter, Funke, Ölstand okay, nun geht's an Deck weiter.

Die absolute Beginners erfahren vom Notruder, der Lenzpumpe, den Feuerlösch- und Seenotsignalmitteln, was sonst noch in Backskisten und an Deck gestaut ist, werden in ihre Rollen eingewiesen und um 1730 fiert Claudia die Vorleinen, Daggi und Wolfgang holen die Achterleinen durch und die „Surprise“ schiebt langsam rückwärts aus der Box. Leinen und Fender werden verstaut, ein unaufgeregtes Ablegemanöver bei optimalen Bedingungen. Die Maschine schnurrt und die ersten Steuerversuche bringen noch im Fahrwasser sichtbar Freude in die Augen der unerfahrenen Steuerleute. Dann stehen Groß und Genua auf Raumschotkurs, Ruhe kehrt ein und Anspannung wird zur Gelassenheit. Claudia summt, „I am sailing“ und Daggi möchte, dass Claudia bloß nicht aufhört, während der 17 m hohe Mast „beinahe“ die Fehmarnsundbrücke kratzt (22 m Durchfahrthöhe). Inzwischen steht Wolfgang am Ruder und gibt, als erfahrener Maschseesegler, eine routinierte Vorstellung hannöverscher Steuermannskunst.
    

Der niegelnagelneuen Hanse, mit der wir in Heiligenhafen losgesegelt sind, können wir leider nicht folgen, aber sie gibt uns in der Dämmerung Orientierung zur Ansteuerung von Großenbrode. Dort im „Tuckers“, das habe ich der Crew versprochen, gibt es leckere Spare Ribs, doch bis dahin sind es noch ein paar Meilen durch Dämmerung und schließlich absolute Finsternis wenig später im Fahrwasser zum Großenbroder Binnensee und zur Klemens Werft. Per Handscheinwerfer hangeln wir uns vorsichtig von Tonne zu Tonne, haben endlich die Hafeneinfahrt voraus und rutschen um 2030 in die letzte freie Box.

Ein paar Minuten sind wir dann wohl doch zu spät im rappelvollen „Tuckers“, die Dschunxx am Tisch nebenan räumen gerade die letzten Spare Ribs ab. Die „Surprise“ Crew geht leider leer aus. Na ja fast, der Smut kriegt uns schon noch satt, aber der Skipper auch sein „Fett ab“. Da hatte ich den Mund wohl doch zu voll genommen.
 


Samstag, den 22. September: Großenbrode – Neustadt

Wetter: SW 5, Böen bis 6 Bft.

Wenn sich der Sommer verabschiedet wird zum Saisonabschluss vor Großenbrode der „Kai-Cup“ der Yachtwerft Klemens gesegelt und damit ist klar, warum wir gestern keine Spare Ribs bekommen haben. Dafür kann die Crew heute ohne Ende duschen (keine Polletten, kein € extra, keine Zeitbegrenzung, überhaupt verdient der Liegeplatz bei Klemens ***** Sterne) und „downtown“ gibt's die richtigen Brötchen zum Frühstück. Um 1110 sind wir wieder „draußen“. Vorsichtshalber werden zunächst Schwimmwesten angelegt, bei uns ab 5 Bft. obligatorisch, doch dann schwächelt der Wind runter auf 3 Bft., bleibt ganz weg und meldet sich später ganz vorsichtig aus O zurück. Wir hangeln uns unter Segel und Motor die Küste runter, geben unsere begnadeten Körper der Sonne hin und haben den Plan, heute auch noch von Neustadt nach Travemünde zu segeln, längst bei Dameshöved baden gehen lassen. Der Wind lässt uns ganz schön hängen. Die Crew ist dennoch von der „Küstensegelei“ begeistert. Strand, Steilküste, Wald, dazwischen Dahme, Kellenhusen, Grömitz und ein Campingplatz folgt dem Nächsten.
    

 

Bei Pelzerhaken Süd erreichen wir die Neustädter Bucht und damit einen der grausamsten Kriegsschauplätze der Ostsee. Was nur wenige Segler wissen, aber durchaus auch mal hierher gehört, kannst Du ausführlich bei Wikipedia nachlesen; zu diesem Theme hat die Stadt Neustadt im Kremper Tor ein Cap-Arcona-Museum eingerichtet. Worum geht es? Auszüge aus Wikipedia:

„Am 3. Mai 1945 trieben die „Cap Arcona“ und die „Deutschland IV“ in der Lübecker Bucht zwischen Neustadt und Scharbeutz. Da die Schiffe nicht als Flüchtlingsschiffe gekennzeichnet waren, wurden sie von alliierten Fliegern für Truppentransporter gehalten und in Brand geschossen. Die Schiffe sanken alle, bis auf die „Cap Arcona“, die zwar kenterte, aber aufgrund der geringen Wassertiefe nicht versank. Rund 7.000 bis 8.000 KZ-Insassen auf der „Cap Arcona“ und der „Thielbek“ verbrannten oder ertranken, nur ein Teil von ihnen gelangte an den Strand, wo noch einmal ca. 400 von der SS , von örtlichen Wehrmachtsangehörigen, Hitlerjungen und in Einzelfällen sogar von Ortsansässigen getötet wurden“.

Ich erzähle das, weil das Schicksal meiner Familie untrennbar mit der Versenkung der „Wilhelm Gustloff“ verbunden ist und weil ich dankbar dafür bin, dass wir heute in dieser wunderbar friedlichen Landschaft leben und segeln dürfen.

 

Zurück in die Gegenwart: Wie an einer Perlenschnur gezogen fädeln sich die Boote ins Neustädter Fahrwasser ein, gehen rüber in die Ancora Marina, in den Neustädter Segler Verein oder am Fjordufer entlang in die Boxen. Noch immer zieht uns die Genua den Fjord aufwärts, bis sie mangels Wind vom Flautenschieber abgelöst wird. Die Sonne meint es gut mit uns und beleuchtet einen Sommernachmittagstraum. Wir motoren den Fjord bis zur Brücke aufwärts, genießen Hafenpanorama, „Skyline“ und gehen abseits der lauten Straße nach 21 sm um 1800 in die Box. Beinahe gegenüber das TV-Studio der Küstenwache. Hier sind wir also in Sicherheit.

Wie alte „Salzbuckel“ erledigt die noch unerfahrene Crew die Anmeldung beim Hafenmeister, während sich der „Veteran“ in der Pantry nützlich macht. Im Cockpit wird in der Abendsonne gegessen, nee, genossen muss es besser heißen, bevor der Skipper „seine“ Crew an Pagodenspeicher und Binnenwasser vorbei auf den Marktplatz lotst. Längst ist es dunkel und die Lichtspiele zwischen Rathaus und Stadtkirche entfalten ihren blau-weißen Charme. Schön ist es hier und wer mehr über Neustadt i.H. sehen & lesen möchte geht am besten über die homepage der Stadt in die „Galerie“.
    

 



Sonntag, den 23. September: Neustadt – Heiligenhafen

Wetter: S 2, später zunehmend 3, Küstennebelfelder

Aufregung dringt gegen 0700 durch den Frühnebel. Ein paar Jugendliche haben in der Nacht Rettungsringe ins Wasser geworfen, Wasserhähne auf dem Steg aufgedreht, „aber“, so höre ich im Halbschlaf aus der Ferne die Stimme des Hafenmeisters, „… ich weiß auf welchem Schiff die sind!“ Nun bin ich wach. Die beiden Dschunxx der „Surprise“, die auch schon in Großenbrode erfolgreich Brötchen eingekauft haben, gehen auch diesmal wieder auf Einkaufstörn. „Gehören sie zusammen?“ fragt die Bäckereifachverkäuferin und errötet zart als ich nachfrage, wie das denn gemeint ist. Okay, ist nicht so witzig, aber wir kriegen die Brötchen und lassen uns sonntäglich viel Zeit – es ist ohnehin noch zu viel Nebel auf dem Wasser.

Um 1040 legen wir ab und tasten uns durch den Nebel ins Fahrwasser. Alle Lampen brennen, das Nebelhorn liegt bereit und durch 20 bis 30 Boote, die sich wohl zu einer Regatta verabredet haben, mauscheln wir uns auf Kurs zum „Kardinal“ Pelzerhaken Süd. Als wir unverhofft aus der Milchsuppe ins Licht fahren (s.o.) sehen wir achteraus die von DP07 angekündigten Küstennebelfelder wie eine weiße Wand vor der Küste. Ein tolles Bild. Nur die Spitzen der Windräder grüßen „über den Wolken“.

Kein Wind weit und breit. Auch nicht vor Grömitz und nicht nach Passieren von Dameshöved.
    

Dann doch noch 1 - 2 Bft. aus SO. Eigentlich kaum der Rede wert, aber bei dem Traumwetter wäre die weitere Motorfahrt nun wirklich unanständig, da musste einfach segeln. Offenbar hat Rasmus diesen Hinweis verstanden und schickt uns jetzt 'n glatten Dreier. Nun kommt sogar der Blister zu seinem Kurzeinsatz – vielleicht wollte Rasmus prüfen, ob der Skipper die Blisterfahrstunde des Überführungstörns verinnerlicht hat. Hatter, liebe Leserinnen und Leser, der Blister sorgt sogar für ein wenig mehr Vortrieb, aber die Najad, die wir eigentlich „kassieren“ wollen, sehen wir nicht wieder, der Wind hat beinahe für heute fertig und hinterlässt eine demoralisierte Steuerfrau, die nun wirklich alles gegeben hat. Noch einmal „kratzen“ wir beinahe an der Fehmarnsundbrücke und eine auffrischende Brise segelt uns auf Halbwindkurs in den Heimathafen. Nach 26,5 sm sind wir um 1730 wieder an 110 in Heiligenhafen fest, die Erde hat ihre WG wieder im "richtigen" Leben. Schade eigentlich.
    
    

Und wie war's? Claudia bringt nächstes Jahr ihre Freundin mit. Daggi strahlt mit dem gewonnenen Selbstbewusstsein um die Wette und Wolfgang meldet sich für den SKS-Kurs an. Und, sind die nächstes Jahr wieder mit dabei. Klar!
 
Fotos natürlich auch von Daggi und Wolfgang - vielen Dank.